Jack Ketchum – Evil

Das banale Böse

Evil ist die Geschichte von David, seinen Freunden und Nachbarjungen in einer amerikanischen Kleinstadt Ende der 1950er. Die 50er waren eine Zeit, in der man oft nicht so genau hinschaute und schon gar nicht so genau hinhörte, was Kinder so erzählten. David und seine Freunde sind ganz normale Jungs ihrer Zeit, nur die Mutter der Nachbarjungen, Ruth, ist ein wenig cooler als andere Eltern, sie versorgt die Jungs mit Bier und Zigaretten. Aber die Kleinstadtidylle trügt und als die Nichten Ruths bei ihr und ihren vier Söhnen einzieht, eskaliert die Situation. Es kommt zu einer Verstrickung von Gewalt, Missbrauch, Mitwisserschaft und tatenlosem Zusehen.

David erzählt die Handlung viele Jahre später rückblickend. Er berichtet von seiner ersten Begegnung mit der 14jährigen Meg am Bach beim Fangen von Flusskrebsen, man erfährt vom Leben in der Kleinstadt und den Eigenheiten der einzelnen Personen, man erfährt aber auch von den Ansichten Ruths über Männer, die sie hasst, und dass Frauen Huren seien, die nur die Beine breit machten.

In Meg und ihrer seit einem Autounfall immer noch verletzten Schwester Susan findet sie ein Ventil, diesen Hass los zu werden. Der Leser wird durch den kindlichen Blickwinkel Davids immer weiter hineingezogen in die Geschichte, die keine leichte Kost ist, die im Leser immer wieder den Wunsch auslöst, auszusteigen, das Buch weg zu legen und schnell wieder zu vergessen. Aber es klappt nicht, man will wissen, wie es weiter geht, man will wissen, ob es auch Grenzen gibt und wo sie liegen. Der Leser wird, ohne es zu bemerken, zu einem Mitwisser und Zuschauer. Am Ende fragt man sich ständig, wo hätte man noch eingreifen, wo das Rad herumreisen können, wo hätte es noch einen Schritt zurück gegeben.

Die Misshandlungen beginnen relativ harmlos mit Essensentzug – unter dem Vorwand, Meg sei zu dick. Wenn Meg sich zur Wehr setzt, hat das Folgen für ihre jüngere Schwester, meist in Form von Prügeln.

Dann ist da noch David selbst, der Meg zwar liebt, aber selbst hin- und hergerissen ist, zwischen der Faszination der Folter, seiner Loyalität gegenüber Ruth und seinen Freunden und dem instinktivem Wissen, dass hier Unrecht geschieht.

Erschreckend ist das perfide Vorgehen Ruths, iherer Söhne und Freunde: zunächst wird Meg entpersonalisiert, die Quälereien steigern sich nur langsam aber stetig, Ruth macht die ganze Gruppe zu Tätern, auch Nachbarkinder werden eingeladen.

Die gut gezeichneten und glaubwürdigen Charaktere bilden ein Dreieck des banalen Bösen: Täter, Opfer, Mitläufer und in der Mitte Ruth, die die Figuren dirigiert und manipuliert. Wobei die Grenzen verschwimmen und letztendlich ist man gezwungen, sich zu fragen, ob nicht alle irgendwie auch Opfer von Ruths Hass auf die Welt sind.

Evil lässt sich gut einsortieren in die Reihe jener Literatur, die sich mit Verhalten von Jugendlichen in Gruppen ohne Kontrollinstanz beschäftigen, wie Herr der Fliegen, Das Haus der Treppen oder Die Welle.

Evil ist ein nicht ganz junger Roman, er erschien erstmal 1989 unter dem Titel „The Girl Next Door“. 2006 wurde das Buch dann in der deutschen Ausgabe Evil veröffentlich. Das Vorwort – das es wirklich zu lesen lohnt – stammt von Stephen King.

John Ketchums Roman ist ein Geheimtipp – und harte Kost unter Fruenden des Horrors. Nicht Geister, Zombies, Monster oder offensichtiche Psychopathen sind hier die Bedrohung, hier ist das banale Böse, das Einzug in die das idyllische Kleinstadtleben hält. Allerdings – und hier sei gewarnt – Evil ist ganz klar nicht für junge oder zartbesaitete Leser geeignet. Nicht jeder hat beim Lesen bis zum Ende durchgehalten.

Verfilmungen

  • Jack Ketchum’s Evil, 2007
  • An American Crime, 2007: ist zwar keine direkte Verfilmung von Ketchums Roman, der wahre Fall, der diesem Film zugrunde liegt, war uch die Basis für Evil.

 

Ketchum - EvilJack Ketchum Evil

 

  • Taschenbuch: 336 Seiten
  • Verlag: Heyne Hardcore; Auflage: 4. Auflage (1. Januar 2006)
  • Sprache: Deutsch

 

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