Schlamassel auf der Scheibenwelt ist ein Buch von Terry Pratchett. Es beinhaltet zwei Bücher von den Erzählungen rund um die Scheibenwelt: Pyramiden und Macbest.
Schlamassel auf der Scheibenwelt
Leseprobe – Seite 261 ff:
„Bevor du mich passieren kannst, o Sterblicher“, verkündete sie, „mußt du mein Rätsel lösen.“
„Warum?“ erkundigte sich Teppic.
„Was?“ Die Sphinx zwinkerte erneut. Auf eine derartige Reaktion war sie nicht vorbereitet.
„Warum? Warum? Weil. Äh. Weil …. Warte einen Augenblick. Ich glaube, weil ich dir sonst den Kopf abbeiße. Ja, ich bin ziemlich sicher.“
„Na schön“, sagte Teppic. „Ich höre.“
Die Sphinx räsperte sich. Es klang wie ein leerer Lastwagen, der im Steinbruch zurücksetzte.
„Was geht morgens auf vier Beinen, mittags auf zwei und abends auf drei?“ fragte die Sphinx selbstgefällig.
Teppic überlegte.
„Das ist ein ziemlich schwieriges Rätsel, sagte er nach einer Weile.
„Das schwierigste überhaupt“, bestätigte die Sphinx.
„Hm.“
„Du kannst bestimmt nicht die richtige Antwort geben.“
„Tja …,“ murmelte Teppic.
„Würdest du bitte die Kleidung ablegen, während du nachdenkst? Einige Stofffetzen bleiben immer zwischen meinen Zähnen hängen.“
„Gibt es ein Tier, dem die Beine nachwachsen, nachdem man es ….“
„Da liegst du völlig falsch“, sagte die Sphinx und fuhr ihre Krallen aus.
„Du hast nicht die geringste Ahnung, oder?“
„Ich überlege noch immer“, entgegnete Teppic.
„Das Rätsel bleibt dir ein Rätsel, nicht wahr?“
„Ich fürchte ja.“ Teppic beobachtete die Klauen. Diese Tier ist bestimmt nicht annähernd so gefährlich, wie es den Anschein haben mag, dachte er. Die Natur hat es viel zu üppig ausgestattet. Außerdem: Die Brust stellt sicher eine Behinderung dar, vom Gehirn ganz zu schweigen.
„Die Antwort lautet: ‚Ein Mensch'“, sagte die Sphinx. „Und jetzt … Bitte leiste keinen Widerstand. Wenn Sterbliche wie du zu kämpfen versuchen, gelangen bittere Chemikalien in ihr Blut.“
Teppic wich zurück und entging einer Klauenpranke. „He, nicht so hastig!“ brachte er hervor. „Was soll das heißen: ein Mensch?“
„Ganz einfach“, erwiderte die Sphinx. „Ein Baby krabbelt am Morgen auf allen Vieren. Mittags steht es auf, und gegen Abend wird es zu einem alten Mann, der sich auf einen Stock stützt. Na, ist der Groschen gefallen?“
Teppic biss sich auf die Lippe. „Das alles passiert nur an einem Tag?“ fragte er skeptisch.
Ein langes verlegenes Schweigen folgte.
„Es ist ein Dingsbums, eine Metapher“, gab die Sphinx verärgert zurück und streckte erneut die Pranke aus.
„Nein, nein, warte!“ beschwichtigte Teppic. „Ich möchte, dass wir diesen Punkt klären. Ist doch nur fair, oder?“
„An dem Rätsel gibt’s nichts auszusetzen“, stellte die Sphinx fest. „Es ist ein verdammt gutes Rätsel. Sei fünfzig Jahren verwirre ich Reisende damit zu Tode. Ja, sie zerbrechen sich den Kopf, denken noch in meinem Magen darüber nach.“
„Oh, ich möchte die Qualität des Rätsels keineswegs in Frage stellen“, versicherte Teppic. „Es ist tiefsinnig und symbolisch. Das ganze menschliche Leben, mit wenigen Worten zum Ausdruck gebracht. Aber du musst zugeben, dass so etwas nicht an einem einzigen Tag geschehen kann, oder?“
„Nun, mag sein“, erwiderte die Sphinx unsicher. „Aber das geht bereits aus dem Kontext hervor. Jedes gute Rätsel enthält Elemente dramatischer Analogie“, fügte sie hinzu. Sie schien diesen Satz vor langer Zeit gehört zu haben, doch Teppic bezweifelte, ob sie den Autor begnadigt hatte.
„Ja“, sagte er, setzte sich und strich einige Knochen beiseite. „Aber zeichnet sich die Metapher nicht durch innere Logik aus? Nehmen wir einmal an, die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt siebzig Jahre, in Ordnung?“
„Meinetwegen“, brummte die Sphinx im Tonfall einer Hausfrau, die gerade den Verkäufer hereingelassen hat und überlegt, wie sie dem heimkehrenden Ehemann am Abend auf einen neuen Staubsauger und die entsprechende Rechnung vorbereiten soll.
„Na schön. Gut, Der Mittag des metaphorischen Tages wäre also mit einem Alter von fünfundreißig Jahren gleichzusetzen, stimmt’s? Nun, die meisten Kinder stehen bereits nach zwölf Monaten auf, und daher erscheint die Bezugnahme auf vier Beine nicht besonders angemessen, oder? Ich meine, der größte Teil des Morgens wird auf zwei Beinen verbracht. Wenn man dein Beispiel als Grundlage nimmt …. “ Teppic zögerte, griff nach einem Oberschenkelknochen und schrieb Zahlen in den Sand. „Nach null Uhr dauert es zwanzig Minuten, höchstens eine halbe Stunde, bevor das vierbeinige Baby – obwohl nicht unerwähnt bleiben soll, dass hier zwei Arme im Spiel sind – zu einem zweibeinigen Kleinkind wird. Na, habe ich recht? Sei fair.“
„Nun ….“, kommentierte die Sphinx.
„Und wenn wir den gleichen zeitlichen Maßstab anlegen: Einen Stock benutzt man wohl kaum um sechs Uhr, denn zu jenem Zeitpunkt beläuft sich das Alter erst auf zweiundfünfzig Jahre.“
Teppic rechnete hingebungsvoll. „Ich glaube, nach einer Gehhilfe hielte man erst gegen halb neun Ausschau. Wobei wir natürlich von der Annahme ausgehen, die ganze Lebensspanne eines Menschen beschränke sich nur auf einen Tag, was ich, ehrlich gesagt, für absurd halte. Tut mir leid. Im Prinzip ist mit dem Rätsel alles in Ordnung; unglücklicherweise steht es in keiner Verbindung mit der Wirklichkeit.“
„Nun“, wiederholte die Sphinx, und diesmal klang es enttäuscht, „es lässt sich nicht ändern. Ich habe kein anderes Rätsel und muss damit vorliebnehmen.“
„Vielleicht solltest du es ein wenig ändern.“
„Wie meinst du das?“
„Sorg dafür, dass es ein wenig realistischer wird“.
„Hmmm“. Die Sphinx hob eine Klaue und kratzte sich an ihrer Mähne.
„Vielleicht hast du recht“, sagte sie. Es klang nicht sehr überzeugt. „Ich könnte fragen: Was geht auf vier Beinen …“
„Im übertragenen Sinne“, warf Teppic ein.
„Was geht, im übertragenen Sinne auf vier Beinen, und zwar ….“
„Etwas zwanzig Minuten lang. Darauf haben wir uns doch geeinigt, nicht wahr?“
„Ja, ja. Was geht, im übertragenen Sinne auf vier Beinen, und zwar zwanzig Minuten lang am Morgen …“
„Nun, es erscheint mir ein wenig übertrieben, vom ‚Morgen‘ zu sprechen“, sagte Teppic. „Immerhin ist es erst kurz nach Mitternacht. Oh, sicher, definitionsgemäß handelt es sich um den Morgen, aber die Umgangssprache ordnet jene Phase der vergangenen Nacht zu. Was meinst du?“
Ein Schatten von Panik huschte durch das steinernen Gesicht der Sphinx.
Schlamassel auf der Scheibenwelt
Autor: Terry Pratchett
September 2005
Piper