Russland – Alina Bronsky – Scherbenpark

Unsere Lesereise führt uns nun nach Russland: Scherbenpark von Alina Bronsky. Die in Russland geborene Autorin erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens, deren Mutter von ihrem Stiefvater erschossen wurde.

Scherbenpark von Alina Bronsky – Zwischen Wut, Schmerz und Selbstermächtigung

Alina Bronskys Debütroman Scherbenpark erzählt die Geschichte der siebzehnjährigen Sascha Naimann, die mit ihrer Familie aus Russland nach Deutschland geflüchtet ist. Sie lebt in einem trostlosen Hochhausviertel – dem sogenannten „Scherbenpark“ – am Rand einer deutschen Großstadt. Zwischen Plattenbauten, Hoffnungslosigkeit und Gewalt versucht Sascha, sich ein eigenes Leben aufzubauen, das nicht von Herkunft, Trauma oder Armut bestimmt ist.

Sascha ist wütend – auf die Welt, auf ihre Mitmenschen, vor allem aber auf Vadim, den Mann, der ihre Mutter und deren neuen Lebensgefährten brutal ermordet hat. Seitdem lebt sie gemeinsam mit ihren jüngeren Geschwistern bei einer Tante, innerlich aufgewühlt und voller Fragen, die niemand beantworten kann oder will. Sascha verfolgt zwei Ziele: Sie will ein Buch über ihre Mutter schreiben, um deren Würde zu bewahren – und sie will Vadim töten. Diese Mischung aus intellektuellem Anspruch und roher Rachefantasie ist bezeichnend für Saschas Zerrissenheit. Nachdem sie einen Journalisten um Hilfe bittet, beginnt sie eine Beziehung mit dessen Sohn – aber auch eine Schwärmerei für den Vater.

Alina Bronsky – ein erfolgreiches Pseudonym

Alina Bronsky (geboren in Russland) ist eine erfolgreiche deutschsprachige Autorin, die mit ihrem Debütroman Scherbenpark im Jahr 2008 erstmals literarisch in Erscheinung trat. Sie wurde in Russland geboren und kam im Alter von 13 Jahren nach Deutschland. Ihr Vater war Physiker und ihre Mutter arbeitete als Astronomin. In Deutschland angekommen, verstand sie anfangs kaum ein Wort – doch das änderte sich rasch. Schon früh wuchs in ihr der Wunsch, Schriftstellerin zu werden. Bevor sie sich dem Schreiben zuwandte, studierte sie zunächst Medizin, brach das Studium jedoch ab. Es folgte ein Volontariat bei einer hessischen Tageszeitung. Der literarische Durchbruch kam, als sie 2007 eine E-Mail mit der Idee zu Scherbenpark an drei Verlage schickte – und alle drei interessiert waren.

Mit Scherbenpark legte Alina Bronsky einen kraftvollen Roman über eine Jugendliche vor, die in einem Hochhausviertel aufwächst und sich mit Entschlossenheit gegen soziale Ausgrenzung und persönliche Verluste behauptet. Das Buch wurde 2009 sowohl für den Deutschen Jugendliteraturpreis (Sparte Jugendbuch) als auch für den Aspekte-Literaturpreis nominiert. Es wurde später als Theaterstück inszeniert und 2013 unter der Regie von Bettina Blümner verfilmt – unter anderem mit Ulrich Noethen in einer Hauptrolle.

Alina Bronsky schreibt Romane sowohl für Erwachsene als auch für Jugendliche. Ihre Bücher wurden vielfach für Auszeichnungen wie den Deutschen Buchpreis oder das Lieblingsbuch unabhängiger Buchhandlungen nominiert. Auch im Schulunterricht finden ihre Texte zunehmend Beachtung.

Privat erlebte die Schriftstellerin im Januar 2012 einen schweren Verlust: Der Vater ihrer drei Kinder verunglückte tödlich bei einer Bergtour in den Schweizer Alpen. Seit 2013 hat sie eine Tochter mit dem Schauspieler Ulrich Noethen. Sie lebt heute in Berlin.

Ihr Wunsch nach Privatsphäre ist groß – sie schreibt unter Pseudonym, um sich selbst zurückzunehmen und die Bücher für sich sprechen zu lassen. 2025 übernimmt sie die Bamberger Poetikprofessur an der Otto-Friedrich-Universität – eine Auszeichnung für eine Autorin, deren Werke gesellschaftliche Fragen mit klarer Sprache und erzählerischer Kraft verhandeln.

Scherbenpark – mehr als ein Jugendroman

Alina Bronsky gelingt mit Scherbenpark ein feinfühliges Porträt einer Jugendlichen, die zwischen den Welten lebt – zwischen Herkunft und Gegenwart, zwischen Rache und Selbstbestimmung, zwischen Überlebensinstinkt und dem Wunsch nach einem besseren Leben. Was sofort überzeugt, ist Sascha selbst. Sie ist keine klassische Sympathiefigur: wütend, klug, sarkastisch, mit Hang zur Überheblichkeit – aber gerade das macht sie authentisch. Ihre Gedanken sind direkt, oft schroff, aber nie leer. Man spürt, wie tief ihr Schmerz sitzt, und dass ihre Aggression aus Trauer, Hilflosigkeit und der Suche nach Gerechtigkeit kommt. Ihre Stimme trägt den ganzen Roman – und das sehr eindrucksvoll. Alina Bronsky schafft es, Saschas Innenleben überzeugend darzustellen. Ihre Erinnerungen an das Leben in Russland, ihr Hass auf den Mörder ihrer Mutter, ihre Verantwortung für die jüngeren Geschwister – all das wird in einer klaren, oft schnörkellosen Sprache erzählt. Man kann sich leicht mit Saschas Gedanken identifizieren, auch wenn man selbst ganz anders lebt. Das macht das Buch zugänglich und emotional stark

Spannende Themen, aber nicht immer ausgereift

Scherbenpark spricht viele wichtige Themen an: Migration, soziale Ungleichheit, Gewalt, Erwachsenwerden, Selbstbehauptung. Das ist ambitioniert – manchmal vielleicht zu sehr. Einige Konflikte werden nur angerissen und dann recht schnell abgehandelt, wie zum Beispiel Saschas Verhältnis zur Familie des Journalisten Volker, bei dem sie zeitweise wohnt. Die Begegnung mit dieser „bürgerlichen“ Welt wirkt stellenweise konstruiert und überhastet, als wolle man zu viel in zu wenig Seiten unterbringen. Die versuchte Vergewaltigung durch den älteren Mann wird einfach hingenommen – keine Kritik, kein negatives Wort.

Auch manche Nebenfiguren bleiben blass, besonders die Jugendlichen aus Saschas Umgebung. Zwar gibt es Szenen, in denen die Welt des Hochhausviertels lebendig wird, aber sie werden nicht sehr vertieft. Das hätte dem Buch mehr Tiefe und soziale Vielfalt geben können.

Sprachlich direkt – manchmal zu plakativ

Alina Bronskys Stil ist einfach, oft lakonisch, was gut zu Saschas Charakter passt. Die Ich-Perspektive sorgt für Nähe, doch manchmal wirken Formulierungen etwas gewollt provokant oder zu plakativ. Besonders in Dialogen wird Saschas Schlagfertigkeit manchmal etwas überzeichnet. Auch der wiederkehrende Wunsch, den Mörder ihrer Mutter zu erschießen, wird mehrfach betont – was realistisch sein mag, aber irgendwann etwas mechanisch wirkt.

Warum man es trotzdem lesen sollte

Trotz dieser Kritikpunkte ist Scherbenpark ein sehr lesenswertes Buch – vor allem für Jugendliche, die keine weichgezeichneten Lebensgeschichten lesen wollen. Sascha ist eine Figur, die zeigt, dass man auch mit Wut im Bauch einen eigenen Weg finden kann. Das Buch macht Mut, selbst zu denken, sich nicht kleinmachen zu lassen – und genau hinzuschauen, wie Gesellschaft funktioniert (oder eben nicht).

Außerdem ist Scherbenpark nicht belehrend. Es will keine fertigen Antworten geben, sondern erzählt einfach eine Geschichte, die nahegeht. Wer sich für realistische Geschichten über das Leben zwischen Kulturen, über Verlust und Selbstbehauptung interessiert, wird hier viel finden.

Lesenswert? Ja. Perfekt? Nein. Ehrlich? Wahrscheinlich

Scherbenpark von Alina Bronsky ist Teil unserer Lesereise rund um die Welt:

Read the World Challenge – Bookshelf Travel
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