Kuba – Zoé Valdés – Das tägliche Nichts

Unsere Lesereise führt uns nun nach Kuba: „Das tägliche Nichts“ von Zoé Valdés. Die in Kuba geborene Autorin erzählt in Anlehnung an ihre eigene Geschichte das Leben einer jungen Frau in Havanna zwischen Mangel und Liebe.

Inhalt zu „Das tägliche Nichts“ von Zoé Valdés

In Das tägliche Nichts (La nada cotidiana, 1995) erzählt die kubanische Autorin Zoé Valdés die Geschichte von Patria, die sich später Yocandra nennt – ein Leben im Kuba der Revolution, das geprägt ist von politischer Kontrolle, materieller Not und innerer Leere. Yocandra wächst mit widersprüchlichen Idealen auf: einerseits geprägt von der staatlichen Propaganda, andererseits enttäuscht von der Realität eines Lebens, in dem es an allem fehlt – an Freiheit, an Liebe, an Nahrung, an Sinn. Der Roman schildert ihren Weg vom jungen Mädchen zur Frau, die ihre Stimme findet – im Schreiben, in der Sexualität und im bewussten Widerstand gegen das System.

Geschichtlicher Kontext zu „Das tägliche Nichts“

Die kubanische Revolution begann 1953 mit dem gescheiterten Angriff auf die Moncada-Kaserne unter der Führung Fidel Castros. Nach Jahren des Guerillakriegs stürzten die Revolutionäre am 1. Januar 1959 den Diktator Fulgencio Batista. Fidel Castro übernahm die Macht, zunächst mit dem Ziel, soziale Gerechtigkeit und Unabhängigkeit von ausländischem Einfluss – insbesondere der USA – zu schaffen. Bereits in den frühen 1960er-Jahren wandelte sich die neue Regierung zu einem sozialistischen Staat. Enteignungen von US-amerikanischem und nationalem Privatbesitz führten zum Bruch mit den USA.

In den folgenden Jahrzehnten wurde Kuba ein enger Verbündeter der Sowjetunion. Der Staat kontrollierte Wirtschaft, Bildung, Medien und Kultur. Es gab große Fortschritte im Gesundheits- und Bildungswesen, jedoch auch politische Repression, Zensur und Ausgrenzung Andersdenkender. Oppositionelle wurden verfolgt, viele Menschen flohen ins Ausland, vorwiegend in die USA.

Die kubanische Wirtschaft war stark von sowjetischer Unterstützung abhängig. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 endete diese Unterstützung abrupt. Es folgte die sogenannte „Sonderperiode in Friedenszeiten“, eine Phase tiefgreifender wirtschaftlicher Krise. Die Versorgung mit Lebensmitteln, Strom, Treibstoff und Medikamenten brach dramatisch ein. Viele Kubaner litten unter Hunger, Mangel und einem drastischen Rückgang des Lebensstandards.

1993 erreichte die Verlagsproduktion in Kuba einen historischen Tiefstand – vor allem aufgrund akuter Papierknappheit. Schriftstellerinnen und Schriftsteller sahen sich mit der ernüchternden Realität konfrontiert, dass ihnen schlicht das notwendige Material zum Schreiben fehlte. Doch nicht nur das Schreiben selbst war erschwert: Auch die Veröffentlichung literarischer Werke war kaum möglich. Die Wartelisten für Publikationen waren lang, die Ressourcen knapp, und staatliche Kontrolle erschwerte zusätzlich den Zugang zum Literaturbetrieb. Infolge dieser widrigen Bedingungen begannen viele Autorinnen und Autoren ab den 1990er-Jahren, ihre Manuskripte verstärkt bei spanischen oder lateinamerikanischen Verlagen sowie bei internationalen Literaturwettbewerben einzureichen. Nicht wenige verließen das Land ganz, um im Exil bessere Arbeits- und Veröffentlichungsbedingungen zu finden. Diese Entwicklung führte dazu, dass kubanische Literatur außerhalb der Insel zunehmend an Bedeutung gewann – und internationale Aufmerksamkeit sowie Anerkennung fand.

Zoé Valdés – Kubanerin im Exil

Zoé Valdés wurde 1959 in einem Armenviertel in Havanna geboren. Nachdem der Vater die Familie verlassen hatte, wuchs sie bei ihrer Mutter und Großmutter in Armut auf. Als sie noch als jugendliche die Texte des kubanischen Dichters und Essayisten José Lezama Lima gelegen hatte, beschloss sie, selbst Schriftstellerin zu werden.

Wie in ihrem Buch „Das tägliche Nichts“ heiratete Zoé Valdés einen kubanischen Schriftsteller und zog mit ihm nach Paris. In dieser Zeit war sie zwischen 1984 und 1987 Mitglied der kubanischen Delegation bei der UNESCO. Nach ihrer Rückkehr nach Kuba 1990 begann sie Drehbücher zu schreiben und wurde Vizedirektorin der Filmzeitschrift Cine Cubano (1960 bis 2019). „Das tägliche Nichts“ (La nada cotidiana) erschien im Jahr 1995 in Frankreich und löste bei der Regierung Fidel Castros Empörung aus.

Als die kubanische Regierung ihr mit einem Prozess drohte, entschied Zoé Valdés 1995, Kuba zu verlassen, wo sie mit ihrem zweiten Ehemann, dem Filmregisseur Ricardo Vega, lebte.

Keines ihrer Bücher wurde in Kuba veröffentlicht. Außerdem wurde ihr die Einreise nach Kuba durch die Regierung Fidel Castros verboten.

In ihren Werken sind meistens Frauen die handelnden Personen. Zudem geht es in vielen ihrer Bücher um das Thema Exil. Hier schafft sie eine persönliche Verbindung zu ihrer eigenen Geschichte und Kuba.

Sie lebt nun mit ihrem dritten Ehemann in Paris.

Zoé Valdés schonungsloser Blick auf das Leben in Kuba

Nachdem „Das tägliche Nichts“ in Frankreich erschienen war, war es sofort ein großer Erfolg und wurde noch in zahlreiche weitere Sprachen übersetzt. Der Roman ist keine Autobiografie – aber dennoch zeigen sich viele Parallelen zum Leben Zoé Valdés. Die Geschichte erzählt nur einen einzigen Tag in Havanna zur Zeit der Sonderperiode. In Rückblicken erzählt sie die wichtigsten Stationen ihres Lebens. Erst im letzten Kapitel führt sie die beiden Erzählstränge, das Nicht-Geschehen an dem Tag und die Rückblicke zusammen.

„Sie kommt von einer Insel, die das Paradies aufbauen wollte.“

Mit diesem Satz beginnt und endet der Roman.

Das tägliche Leben ist von Monotonie, Hoffnungslosigkeit und ständigem Mangel geprägt – nicht nur an materiellen Dingen wie Lebensmitteln oder Hygieneartikeln, sondern auch an Perspektive und Freiheit. Besonders eindrucksvoll zeigt die Autorin, wie tief die Frustration in der kubanischen Gesellschaft verwurzelt ist. Der Alltag wird zum Überlebenskampf, der geprägt ist von politischer Unterdrückung, Korruption und persönlicher Resignation.

Yocandra versucht, diesem „alltäglichen Nichts“ zu entkommen – durch das Schreiben. Es wird für sie zum Ausweg aus der Leere und zum Mittel, sich selbst, ihre Umwelt und ihre Gefühle zu hinterfragen. Ihre rebellische Haltung zeigt sich nicht nur im politischen Denken, sondern auch in ihrer Sexualität. Mit zwei völlig unterschiedlichen Liebhabern verbindet sie eine untergeordnete, aber dennoch bedeutsame Leidenschaft, die sie nutzt, um gegen die gesellschaftlichen Zwänge aufzubegehren. Valdés schreibt dabei offen und tabulos über weibliche Sexualität – etwas wovon es auf Kuba keinen Mangel gibt.

„Sexuell herrscht auf der Insel jedenfalls keine Mangelwirtschaft.“

Zoé Valdés  idealisiert nichts – weder Politik noch Beziehungen – sondern zeigt die Realität so, wie sie ist: hart, ehrlich und voller Widersprüche. Die Darstellung des Gegensatzes zwischen Kuba und der westlichen Konsumgesellschaft, etwa wenn Yocandras Freundin in Spanien dem Kaufrausch verfällt, während die Menschen in Kuba stundenlang für das Nötigste anstehen, wirkt dabei besonders stark.

„Das tägliche Nichts“ von Zoé Valdés ist Teil unserer Lesereise rund um die Welt:

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