Botswana – Unity Dow – The Screaming of the Innocent

In The Screaming of the Innocent (Die Beichte) verarbeitet Unity Dow einen wahren Kriminalfall aus Botswana: Ein junges Mädchen verschwindet spurlos, doch der Fall wird vertuscht. Jahre später stößt eine engagierte Frau auf Beweise, die tief in ein Netz aus Macht, Aberglauben und Korruption führen. Ein Justizthriller über Unrecht, Mut und den Kampf um Wahrheit.

The Screaming of the Innocent von Unity Dow

Im Roman The Screaming of the Innocent erzählt Unity Dow die Geschichte des Ritualmordes (Dipheko) an der jungen Neo Kakang. Nach dem plötzlichen Verschwinden des Mädchens wurde eine groß angelegte Suchaktion eingeleitet – jedoch ohne Erfolg. Schon bald vermutete die Familie, dass Neo einem rituellen Mord zum Opfer gefallen sein könnte.

Einige Tage später entdeckte Neos Onkel ihre blutverschmierte Kleidung und übergab sie der Polizei, die versprach, den Hinweisen nachzugehen. Beim nächsten Kontakt mit den Beamten erklärte die Polizei jedoch, Neo sei von Löwen angegriffen worden. Kurze Zeit darauf stellte sich heraus, dass die sichergestellte Kleidung spurlos verschwunden war.

Fünf Jahre später wurde die junge Amantle im Rahmen eines nationalen Freiwilligenprogramms der Regierung in die Gesundheitsstation des Dorfes entsandt, in dem die Familie Kakang lebte. Dort wurde sie beauftragt, einen Lagerraum zu entrümpeln – und stieß zufällig auf einen Karton mit den blutigen Kleidungsstücken von Neo. Sie übergab den Fund der Familie, was eine Kette von Ereignissen auslöste.

Der Fund zeigte, dass die Polizei offenbar Beweismittel zurückgehalten hatte – und weckte in der Familie den dringenden Verdacht, dass der Fall vertuscht worden war.

Orte im Buch:

The Screaming of the Innocent – kein Thriller – oder doch irgendwie

Screaming of the Innocent von Unity Dow ist kein klassischer Thriller. Es geht um Politik, Gesellschaft und die soziokulturellen Strukturen in Botswana. Es stellt sich die Frage nach Gerechtigkeit, Machtmissbruch und Korruption sowie dem Schweigen von Institutionen. Unity Dow zeigt auf, wie tief dieses Schweigen in staatliche, polizeiliche und soziale Strukturen eingewoben ist. Ein wichtiges Thema im Buch ist die Gewalt gegen Mädchen und Frauen. Beim Lesen gerät man zwischen traditionelle Weltbilder wie Aberglaube, Hexerei und patriarchalen Hirarchien. Auf der anderen Seite stehen moderne Werte wie der Wunsch nach Gleichberechtigung, Rechtsstaatlichkeit und individueller Freiheit. Wie tief die Kluft ist, wird in einer Szene deutlich, als die junge Staatsanwältin zum Teekochen verdonnert und dann des Raums verwiesen wird.

Amantle Bokaa selbst ist zwar gebildet, wirkt zunächst aber naiv und unsicher. Aber gleich nach dem Fund der blutigen Kleidung zeigt sich, dass sie sie das System des Schweigens und der Korruption durchschaut hat. Sie ist nicht bereit, die Missstände hinzunehmen. Sie weigert sich, das Polizeiprotokoll zu unterzeichnen, wenn sie nicht eine Kopie davon erhält. Sie fürchtet, dass die Polizei das Protokoll ändern würde. Sie ist ein Symbol einer neuen Generation von botswanischen Frauen. Als sie erkennt, dass der Machtmissbrauch der Behörden ein gerechtes Verfahren verhindert, verweigert sie die Herausgabe der blutigen Kleidung. Sie stellt sich aber nicht nur gegen die Polizei.

Unity Dow wechselt in ihrer Geschichte „The Screaming of the Innocent“ immer wieder die Perspektive, die Zeitlinien und die Erzählstimmen. Dadurch wird die Zersplitterung der Wahrheit widergespiegelt. Dies symbolisiert aber auch die Zersplitterung der Wahrheit, die sich nur schwer rekonstruieren lässt.

Der Hintergrund zu The Screaming of the Innocent

Am 6. November 1994 wurde in Mochudi in einem größeren Dorf in Botswana die Leiche der 14-jährigen Segametsi Mogomotsi gefunden. Der Leichnam war nackt und verstümmelt. Es war schnell klar, dass es sich um „Dipheko“ handeln würde. Der Bericht zu diesem Mord wurde fast 20 Jahre unter Verschluss gehalten – aber bis heute wurde niemand für den Mord zur Verantwortung gezogen. Der Bericht zu diesem Mord wurde bis 2012 unter Verschluss gehalten.

Als Segametsi für einen Schulausflug Geld sammeln wollte, wurde sie von einer Gurppe Männern in die Falle gelockt und in ein Haus verschleppt und zerstückelt. Arme und Beine wurden auf einen Haufen gelegt. Der Ritualmord an der 14-Jährigen löste in Botswana Proteste aus. So organisierten Schüler*innen der Radikolo Community Junior Secondary School einen Protestmarsch zum Büro des Distriktkommissars in Mochudi, da sie davon ausgingen, dass auch die Regierung in den Ritualmord (Dipheko) verwickelt sei. Dies sollte nicht der letzte Protest zum Mord an der 14-Jährigen sein.

Bald wurde der Stiefvater von Segametsi verhaftet, nachdem er gestanden hatte. Jedoch widerrief er sein Geständnis und wurde wieder entlassen. Auch weitere Geschäftsleute wurden verhaftet und kamen bald wieder frei.

Im Sommer 2021 gab die Familie von Segametsi bekannt, dass sie das ungelöste Kapitel um den Ritualmord an der 14-Jährigen schließen werden.

„The family has been looking for answers for many years, they never came. We decide to let it all go. This issue has haunted us all our lives. Our hearts still ache but for peace sake, we choose not to revisit that path anymore.“ (Thebe Mogomotsi, Onkel von Segametsi)

Der ungelöste Mord an Segametsi Mogomots ist bis heute Thema in Botswana.

Dipheko – Der Mord für spezielle Medizin

Dipheko ist ein ritueller Mord, um aus dem Opfer Muti – Medizin – aus Körperteilen herzustellen. Diese spezielle Medizin soll den Erfolg bei Geschäftsabschlüssen und Macht sicherstellen. Besonders erfolgversprechend war Muti, wenn junge, gebildete Mädchen getötet werden. In Botswana ist Dipheko nicht unüblich.

Unity Dow – Von Kindheit bis Studium

Unity Dow wurde 1959 im ländlichen Botswana, unweit der Hauptstadt Gaborone, geboren. Sie hat einen älteren Bruder. Ihre Kindheit war geprägt durch patriarchale Strukturen und strengen traditionellen Werten. Dennoch versuchten Dows Eltern ihre beiden Kinder gleichberechtigt zu erziehen. Sie wuchs in dem Bewusstsein auf, dass ihr Geschlecht kein Hindernis für ihre Fähigkeiten oder Ziele darstellte. Schon sehr jung, liebte sie Bücher – sie las lieber, als beim Wassertragen zu helfen. Auf den langen Wegen zum Wasserholen hatte sie stets ein Buch dabei. In der Schule brachte sie sehr gute Leistungen und bekam so ein Stipendium für das Jusstudium in Botswana und Swasiland. Das Studium führte sie auch nach Schottland. Hier war sie eine der wenigen Frauen im Jurastudium. Anfangs fühlte sie sich wie Teil eines exklusiven Kreises – doch schon bald wurde ihr die tief verankerte Geschlechterungleichheit im Rechtssystem bewusst.

„Wenn man beginnt, im juristischen Bereich zu arbeiten, merkt man, wie männlich allein schon die Sprache des Rechts ist, wie männlich die gesamte Rechtskultur ist. Und man beginnt zu denken: ‚So sollte das nicht sein. Ich habe ein Recht, hier zu sein. Ich habe es mir verdient. Und deshalb sollte diese Umgebung auch mich widerspiegeln.'“ (Unity Dow)

Diese Erkenntnis legte den Grundstein, sich als Juristin durchzusetzen und gegen systemische Ungerechtigkeiten anzukämpfen.

Menschenrechtsaktivistin und Juristin

Nach dem Jurastudium war sie zunächst ein Mitglied der Generalstaatsanwaltschaft Botswanas. Doch gründete sie bald darauf die erste ausschließlich von Frauen betriebene Anwaltskanzlei des Landes. Später war sie Mitbegründerin des Netzwerks Women and Law in Southern Africa, in dem sie auch als Forscherin tätig war.

Doch ihr Engagement ging weit über die juristische Arbeit hinaus: Unity Dow initiierte die Baobab Primary School in Gaborone sowie den AIDS Action Trust – die erste Nichtregierungsorganisation in Botswana, die sich speziell mit HIV/AIDS befasste. Auch juristisch blieb sie aktiv: In einem wegweisenden Verfahren setzte sie eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts durch, die Kindern die Staatsangehörigkeit erleichterte. Der Prozess dauerte fünf Jahre und erregte große, öffentliche Aufmerksamkeit.

In weiteren Prozessen engagierte sie sich für die Rechte von Frauen und Kindern. 1997 wurde Unity Dow zur ersten Richterin am High Court von Botswana ernannt. Sie blieb konsequent fortschrittlich, sprach mutige Urteile und entschied gegen den Staat, wenn es die Gerechtigkeit erforderte. Sie trat kompromisslos für Recht und Gleichheit ein und setzte sich auch unermüdlich für die Stärkung der Menschenrechte ein.

Darüber hinaus war sie Mitglied der internationalen Juristenkommission mit Sitz in Genf, deren Mitglieder weltweit Gerichtsverfahren beobachten und deren Übereinstimmung mit internationalem Recht prüfen.

Besondere Aufmerksamkeit erlangte Unity Dow durch ihr Engagement für die Rechte der LGBTQI+-Community: In einem viel beachteten Prozess erwirkte sie die offizielle Anerkennung von LEGABIBO – der Organisation für lesbische, schwule und bisexuelle Menschen in Botswana.

Sie ist auch Gründerin des Hills of Music International Music, Art, Food and Dress Festival.

Unity Dow – die Schriftstellerin und Politikerin

Ab 2013 wechselte Unity Dow in die Politik und wurde ein Jahr später Mitglied der Nationalversammlung für die Botswana Democratic Party. Sie wurde zunächst Ministerin für Educationand Skills Development und später Infrastructure and Housing Development. 2018 wurde sie Minister of International Affairs and Cooperation.

Unity Dow schrieb fünf Bücher, in denen sie sich mit dem Konflikt zwischen westlichen und traditionellen Werten, die Geschlechterfrage und Armut auseinandersetzt.

 

The Screaming of the Innocent von Unity Dow erschien 2002.

„Unity Dow – The Screeming of the Innocent / Die Beichte“ ist Teil unserer Bücherreise durch die Welt.
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