Reportage – Anleitung für die journalistische Königsklasse
Die Reportage ist die Königsdisziplin des Journalismus – nah am Menschen, tief im Geschehen, stark im Stil. Doch wie gelingt eine packende Reportage? Worauf kommt es an? Von der Themenwahl über die Struktur bis zum Feinschliff: Dieser Text erklärt, wie man Reportagen richtig schreibt.
Die Reportage gilt als eine der anspruchsvollsten journalistischen Textsorten. Sie vereint Fakten und Erzählkunst, Nähe und Distanz, Beobachtung und Sprache. Sie lässt Leserinnen teilhaben – nicht nur am Geschehen, sondern am Gefühl. Doch wie gelingt eine wirklich gute Reportage? Welche Schritte sind zu beachten? Und wie lang sollte sie sein?
Was ist eine Reportage?
Eine Reportage ist eine erlebte Geschichte. Sie beruht auf unmittelbarer Anschauung, gründlicher Recherche und erzählerischem Feingefühl. Die Autorin oder der Autor ist vor Ort, beobachtet, spricht mit Beteiligten und hält fest, was er oder sie sieht, hört, riecht, spürt. Ziel ist nicht nur, Fakten zu vermitteln, sondern Atmosphäre zu transportieren – authentisch, detailreich, emotional.
Im Unterschied zur Nachricht beschreibt die Reportage nicht nur, was passiert ist, sondern wie es sich anfühlte. Sie verknüpft Beobachtung, Interviews und Hintergründe zu einem erzählerischen Ganzen.
Was eignet sich für eine gute Reportage?
Nicht jedes Thema ist geeignet. Eine gute Reportage braucht Spannungspotenzial, einen menschlichen Zugang, Kontraste, Überraschungen. Das Thema muss visuell sein – es muss Szenen geben, die sich beschreiben lassen.
Geeignete Themen können sein:
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Ereignisse mit menschlicher Dimension (z.?B. Leben in einem Flüchtlingslager, Arbeit in einer Notaufnahme)
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Alltagsbeobachtungen mit Tiefgang (z.?B. ein Tag im Leben eines Müllfahrers)
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Exklusive Einblicke (z.?B. Hinter den Kulissen eines Gerichtsprozesses)
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Außergewöhnliche Orte oder Erlebnisse (z.?B. eine Expedition, ein Gefängnisbesuch)
Recherche: Vor Ort sein ist Pflicht
Die Grundregel jeder Reportage: Du musst dabei gewesen sein. Persönliche Anwesenheit ist Voraussetzung. Nur so lassen sich sinnliche Eindrücke, spontane Dialoge und echte Details einfangen. Wichtig ist eine gute Vorbereitung: Wer sind die zentralen Akteure? Welche Hintergründe müssen recherchiert werden? Was darf man vor Ort erwarten – und was nicht?
Während der Recherche heißt es: beobachten, notieren, zuhören, nachfragen. Tonaufnahmen, Fotos und ein präzises Notizbuch sind hilfreich, um später authentisch zu schreiben.
Der Einstieg: Die Szene muss knallen
Der Einstieg ist entscheidend. Er muss fesseln, überraschen, neugierig machen. Meist beginnt eine Reportage mit einer Szene – nicht mit Fakten. Die Leserschaft soll sofort im Geschehen sein: im Geräusch, im Geruch, im Moment.
Beispiel:
„Der Geruch von Desinfektionsmittel hängt in der Luft. Draußen hupt ein Rettungswagen. Drinnen beugt sich Dr. Weber über den Bauch eines Neunjährigen, der sich nicht mehr rührt.“
Erst nach dieser Szene folgt der Kontext: Was ist hier los? Warum ist dieser Ort relevant?
Der Aufbau: Dramaturgie statt Chronologie
Eine Reportage ist keine lineare Chronologie. Sie folgt der Dramaturgie einer Geschichte: Es gibt eine Einführung, einen Spannungsbogen, einen Höhepunkt, ein Ende mit Wirkung. Zwischendurch werden Informationen gestreut, Hintergründe erklärt, Stimmen eingeholt.
Typischer Aufbau:
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Szenischer Einstieg
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Präsentation des Themas
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Vertiefung durch Beobachtungen, O-Töne, Gespräche
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Einordnung durch Hintergrundwissen
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Spannungsaufbau und emotionaler Höhepunkt
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Abrundung mit einem starken Schlusssatz
Wichtig: Die Reportage darf nie den roten Faden verlieren. Jede Szene, jede Information muss zum Thema beitragen. Bilder und Informationen wechseln ab
Sprache der Reportage: Bildhaft, konkret, authentisch
Sprache ist das Werkzeug der Reportage. Gute Reportagen zeigen, statt zu erklären. Sie setzen auf anschauliche Bilder, kurze Dialoge, genaue Beobachtungen. Der Schreibstil darf erzählerisch sein – aber nicht literarisch überladen. Der Ton ist lebendig, aber nüchtern. Emotionen entstehen durch die Szene, nicht durch Pathos.
Vermeide:
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Klischees („die Sonne lachte vom Himmel“)
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Belehrungen
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zu viel Ich-Perspektive (die Reporterin bleibt meist im Hintergrund)
Bevorzuge:
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konkrete Verben („er starrt“, „sie zögert“, „es klirrt“)
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wörtliche Rede (z.?B. Dialoge mit Protagonisten)
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Details mit Aussagekraft („Der Arzt trägt ein abgenutztes Stethoskop mit eingeritzten Initialen“)
Länge: Qualität vor Quantität
Die ideale Länge hängt vom Medium ab. Im Printbereich sind 6.000 bis 12.000 Zeichen üblich (ca. 1.000 bis 2.000 Wörter), für Online können auch kürzere, multimedial aufbereitete Reportagen funktionieren. Entscheidend ist nicht die Länge, sondern die Dichte: Jeder Absatz muss relevant und lesenswert sein.
Das Besondere an der Reportage ist ihr „Show, don’t tell“-Prinzip. Sie gibt kein Urteil, sondern ermöglicht einen Einblick. Sie beschreibt – und überlässt die Deutung der Leserschaft. Durch Nähe entsteht Verständnis, durch Perspektivenvielfalt Empathie. Eine gute Reportage bleibt im Kopf, weil sie eine Erfahrung vermittelt.
Das wichtigste zum Schluss
Wer eine Reportage schreiben will, muss beobachten können, neugierig bleiben und schreiben wollen, als säße der Leser neben einem. Eine gute Reportage verbindet Handwerk mit Haltung: Sie ist klar strukturiert, sprachlich präzise und zugleich offen für das Unvorhersehbare. Wer das beherrscht, erzählt keine Geschichten – er lässt sie lebendig werden.
Tja – was soll ich sagen? 2018 hatte ich mir schon mal Gedanken zu einer guten Reportage gemacht: Die Reportage – die Königsdisziplin