Phoolan Devi von der Banditenkönigin zur Politikerin – Teil 2
Phoolan Devi – das ist die Geschichte einer indischen Frau, die nach Kinderehe und Vergewaltigung zur gefürchteten Banditenchefin wurde. Doch hier ist ihr Lebensweg noch nicht zu Ende. Phoolan Devi ist ein Symbol für Rache, weibliche Stärke und Widerstandskraft. Sie ist ein Symbol des wahren Indiens.
Das ist der zweite Teil über die Geschichte von Phoolan Devi, der Banditenkönigin. Phoolan Devis Kindheit in einem armen Dorf in Uttar Pradesh war geprägt von Entbehrungen. Schon jung wurde sie verheiratet, erlebte Missbrauch und floh. Sie geriet in die Hände von Banditen, wo sie weitere Erniedrigungen erlitt, aber auch lernte, sich zu wehren. Nach der Ermordung ihres Mentors und Geliebten, Vickram und eine Massenvergewaltigung durch rivalisierende Bandenmitglieder, fasste Phoolan den Entschluss, eine eigene Bande zu gründen. Mit einer Mischung aus Rache und einem Verlangen nach Gerechtigkeit versammelte sie Gleichgesinnte um sich, um ihr eigenes Gesetz in den staubigen Tälern Nordindiens durchzusetzen. Nach ungefähr 17 Monaten kam es zum Massaker von Behmai. Hier geht es zu Teil 1 der Geschichte über die Banditenkönigin
Phoolan Devi – die meistgesuchte Banditin
Spätestens nach dem Massaker im Dorf Behmai wurde Phoolan Devi in ganz Indien als „Königin der Banditen“ bekannt – und als Inkarnation der Göttin Durga, der zornvollen und allmächtigen Muttergöttin des Hinduismus. Seit jenem blutigen Vorfall galt sie als die meistgesuchte Banditin Zentralindiens. Die Behörden leiteten eine beispiellose Fahndung ein: Mit Hubschraubern und rund 4.000 schwer bewaffneten Polizisten wurde nach ihr gesucht. Indiens damalige Premierministerin Indira Gandhi, selbst Angehörige der höchsten Kaste der Brahmanen, zog sogar in Erwägung, das Militär gegen die junge Rebellin aus der untersten Kaste einzusetzen.
Zwei Jahre lang blieb Phoolan Devi auf der Flucht. Einmal gelang ihr die spektakuläre Flucht vor einer Polizeieinheit, indem sie in einem einzigen Dorf dreimal in unterschiedlicher Verkleidung auftauchte – während es gerade durchsucht wurde. Bei einem weiteren Polizeieinsatz wurde ein ganzes Dorf zerstört: Aus Hubschraubern warfen Einsatzkräfte Bomben ab und setzten das Gebiet in Brand. Phoolan Devi konnte nur mit knapper Not entkommen. Mittlerweile war auf die Königin der Banditen ein Kopfgeld von 10.400 Dollar ausgesetzt.
Phoolan Devi ergibt sich 1983
Die Fahndung nach Phoolan Devi richtete sich nicht nur gegen sie allein – auch zahlreiche Mitglieder ihrer Bande gerieten ins Visier der Polizei. Viele wurden in Hinterhalte gelockt, verhaftet oder bei bewaffneten Auseinandersetzungen getötet. Das Leben auf der Flucht hinterließ bei allen Beteiligten Spuren. Schließlich ergab sich die als „Königin der Banditen“ bekannte Phoolan Devi am 12. Februar 1983 im benachbarten Bundesstaat Madhya Pradesh – auf einer Bühne, vor den Bildern ihrer verehrten Göttin Durga und Mahatma Gandhis, und vor den Augen von mehr als 10.000 Menschen.
Phoolan Devi erschien in Polizeiuniform, mit einem roten Halstuch um die Stirn, dem Symbol der Sikhs am Handgelenk und einer Jagdwaffe über der Schulter. In einem Akt der Demut verneigte sie sich ehrerbietig vor den Porträts von Gandhi und der Göttin Durga, kniete anschließend nieder und berührte respektvoll den Fuß des Premierministers von Madhya Pradesh. Nach einem kurzen Moment des Innehaltens wandte sie sich der Menge zu, hob das Gewehr über ihren Kopf und übergab es gemeinsam mit 25 Patronen feierlich an den Minister – unter den Augen der internationalen Presse.
Ihre Kapitulation erfolgte jedoch nicht bedingungslos: Phoolan Devi hatte zuvor gefordert, nicht zum Tode verurteilt zu werden, ihre Gefolgsleute sollten maximal acht Jahre Haft erhalten. Zudem sollte ihr Bruder eine Anstellung im Staatsdienst erhalten und ihrer Familie ein Stück Land zugesprochen werden.
Ohne Prozess 11 Jahre im Gefängnis
Phoolan Devi wurde in das Gefängnis von Gwalior eingeliefert, das bereits zahlreiche Dacoits, also Banditen, beherbergte. Die Haftbedingungen waren katastrophal: Korruption herrschte vor, und wer Geld besaß, wurde bevorzugt behandelt – nicht jedoch die „Königin der Banditen“. Phoolan Devi wurde wegen 48 Verbrechen angeklagt, doch der Prozess gegen sie zog sich immer wieder in die Länge. Die Bundesstaaten Madhya Pradesh und Uttar Pradesh konnten sich nicht auf einen Verhandlungsort einigen. Außerdem hatte man Sorge, dass bei einem Prozess die Misshandlungen der Polizei und Verfehlungen der Obrigkeit an die Öffentlichkeit gekommen wären. Währenddessen verbüßten die anderen Banditen ihre verhängten Strafen. Viele von ihnen erreichten später eine gewisse gesellschaftliche Anerkennung, teilweise sogar politische Positionen.
„Räuber haben eine sehr gute Chance in der Politik, schließlich haben sie ein gutes Image als Helden.“ (Mohar Singh, einer der Banditen)
Alle einst ausgehandelten Bedingungen wurden ansonsten erfüllt – mit einer Ausnahme: Phoolan Devi selbst wurde nicht nach den vereinbarten acht Jahren Haft entlassen. Stattdessen verbrachte die „Königin der Banditen“ insgesamt elf Jahre ohne Prozess im Gefängnis. Zu diesem Zeitpunkt war Devi bereits knapp 30 Jahre alt und hatte kaum noch Hoffnung, jemals freizukommen. Sie glaubte, in dieser Gefängnishölle sterben zu müssen.
Während ihrer Haft stand sie in regelmäßigem Briefkontakt mit Indira Gandhi und Arjun Singh. Durch diese Kontakte gelang es ihr, nach der Diagnose eines Magengeschwürs eine Verlegung in das Gefängnis von Tihar zu erreichen, wo sie unter deutlich besseren Bedingungen untergebracht wurde. Später berichtete sie, dort erstmals wie ein menschliches Wesen behandelt worden zu sein. Während ihres Gefängnisaufenthalts wurde Phoolan Devi ohne ihre Zustimmung die Gebärmutter entfernt. Der Arzt meinte später:
„Wir wollen nicht, dass noch mehr Phoolan in die Welt gesetzt werden.“
Einsatz für Menschenrechte – Phoolan Devi, die Heldin
Eines Tages erhielt Phoolan Devi im Gefängnis Besuch von einem Vertreter der neu gegründeten Samajwadi Party. Die Partei suchte ihre Unterstützung, da sie den Entrechteten – darunter Armen, Muslimen, Angehörigen niedriger Kasten und Frauen – eine Stimme geben wollte. Aufgrund ihrer Taten und der Berichterstattung in den Medien hatte Phoolan bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt. Die Partei hoffte, durch ihre Unterstützung bei den Wahlen in Uttar Pradesh mehr Stimmen gewinnen zu können.
Kurz darauf errang die Samajwadi Party bei der Wahl den Sieg. Nur wenige Wochen später, am 1. Februar 1994, wurde die „Banditenkönigin“ gegen Kaution freigelassen – trotz heftiger Kritik seitens der Familien ihrer Opfer. Für Phoolan Devi begann damit ein neuer Kampf: Sie engagierte sich fortan als Menschenrechtlerin und setzte sich insbesondere für die Rechte von Frauen ein. Während sie von vielen als Heldin der Armen gefeiert wurde, sahen andere in ihr ein Opfer männlicher Machtstrukturen.
Phoolan Devi blieb der Samajwadi Party treu. 1996 wurde sie als erste Frau aus Mirzapur, einer Stadt im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh, ins indische Parlament gewählt. Mit ihrem Einzug öffnete sie anderen Frauen die Türen für eine politische Karriere in diesem Wahlkreis. 1999 wurde sie erneut ins Parlament gewählt.
Der Mord an Phoolan Devi
Am 25. Juli 2001 – Phoolan Devi war zu diesem Zeitpunkt 38 Jahre alt – wurde die „Königin der Banditen“ und Parlamentsabgeordnete mitten am Tag auf offener Straße erschossen. Sie war gerade vom Parlament zu ihrem Bungalow zurückgekehrt, als drei maskierte Männer aus einem parkenden Auto sprangen und aus nächster Nähe das Feuer eröffneten. Phoolan wurde von fünf Kugeln getroffen, darunter eine im Kopf, und erlag noch vor dem Erreichen des Krankenhauses ihren Verletzungen. Die Leibwächter hatten keine Chance, sie zu schützen.
Mitglieder von Devis Samajwadi-Partei, die sich für die Rechte der unteren Kasten Indiens einsetzt, erklärten, sie sei Opfer einer „politischen Verschwörung“ geworden. Die Polizei bestätigte, dass die Ermordung sorgfältig geplant gewesen sei. Die Mehrheit der Beobachter sieht jedoch in Phoolans Vergangenheit als Anführerin einer Banditengruppe den Grund für die Tat. Insbesondere das Massaker am Valentinstag 1981 wird als Motiv für die Rache angesehen, die sie schließlich eingeholt hat.
„Her life was a story of rebellion and successful defiance against oppression and exploitation“ (Indiens Präsident, KR Narayanan)
Ihre Ermordung sei ein „feiger und grausamer Akt“ gewesen, so KR Narayanan. Der stellvertretende Polizeikommissar Suresh Roy erklärte, ein Mitglied der Täterbande sei verletzt worden, und alle Krankenhäuser seien auf der Suche nach dem verwundeten Täter. Auch das Fluchtfahrzeug sei bereits ausfindig gemacht worden, so Roy. In Mirzapur gingen Tausende auf die Straße, griffen Fahrzeuge an und riefen zu einem Streik auf. Devis Leichnam wurde nach Uttar Pradesh geflogen, um am Ganges verbrannt zu werden.
Und wenn es ein Paradoxon ist, dass die analphabetische Tochter eines Fischers aus einer niedrigen Kaste zur Sinnbild für Indien selbst geworden ist, dann erkennt Phoolan Devi dieses Paradoxon nicht. Es ist lediglich eine der vielen Unwägbarkeiten ihres Lebens. Sie ist ein Kind des Chambal-Tals, das die Gerechtigkeit in die eigene Hand nahm. Von Geburt an eine hinduistische Fatalistin, denkt sie dennoch oft über Gott nach und erzählte, dass sie als Dacoit Angst um ihr Seelenheil hatte, falls ihr Leichnam in die Hände der Polizei fallen sollte. Sie ist eine introvertierte Einzelgängerin, die sich nach Aufmerksamkeit sehnt wie ein Kind. Häufig hat sie erklärt, Männer zu hassen, doch immer hat sie sich von Männern umgeben. Sie hat die unglaublichsten und schwierigsten Rollen übernommen, oft geleitet von Intuition, Instinkt und Laune. Es ist schwer zu sagen, wer Phoolan Devi wirklich ist.
Vergewaltigung ist auch heute noch – 24 Jahre nach dem Tod von Phoolan Devi – die vierthäufigste gegen Frauen verübte Straftat in Indien. Gleichzeitig hat Indien im internationalen Vergleich eine vergleichsweise niedrige Zahl an Strafverfahren aufgrund von Vergewaltigungen. Auch Gruppenvergewaltigungen sind keine Seltenheit.
Phoolan Devi – die Banditenkönigin – ihre Kindheit bis zum Massaker von Behmai
Lesetipp: Die Graphic Novel von