Sher Singh Rana in der Gerichtsverhandlung

Phoolan Devi – Die Jagd nach dem Mörder – Teil 3

Phoolan Devi, die Königin der Banditen und Politikerin, wurde am 25. Juli 2001 auf offener Straße erschossen. Sofort nach dem Mord begannen die Ermittlungen. Doch es sollte noch Jahre dauern, bis der vermeintliche Mörder, Sher Singh Rana, endlich verurteilt wurde. Falls du den ersten Teil über Phoolan Devi noch nicht gelesen hast – beginne hier: Phoolan Devi – Die Banditenkönigin aus Indien

Auf der Suche nach den Mördern

Gleich nach dem Mord an Phoolan Devi versprach der indischen Innenminister LAL Krishna Advani sofortige Aufklärung. Aber zunächst hatten die Ermittler ein Problem damit, ein Motiv für die hinterhältige Tat zu finden. Eine Woche später war man mit den Ermittlungen noch keinen Schritt weiter. In Verdacht geriet bald Sher Singh Rana, der nämlich öffentlich behauptet hatte, dass er mit einem Komplizen Phoolan erschossen hätte. Er sagte, er habe sie aus Rache für das berüchtigte Massaker von 1981 getötet. Rana erklärte zudem, er habe die Tat begangen, weil er eine Karriere in der indischen Politik anstrebe. Es gibt nur ein Problem mit Ranas reißerischer Darstellung: Die Polizei glaubt nicht, dass sie der Wahrheit entspricht. Bislang konnte Rana kaum stichhaltige Beweise für seine Beteiligung liefern. Auch über den dritten Schützen konnte er keine Auskunft geben. Danach konzentrierte sich die Polizei auf das Umfeld von Phoolan Devi. Auch ihr Ehemann, Umed Singh, geriet unter Verdacht.

„Es gab viele Ungereimtheiten in den Aussagen der Familienmitglieder. Es scheint, als hätten einige von ihnen versucht, Informationen zu verbergen,“

so ein Ermittler. Auch gab es Pannen bei den Ermittlungen. Obwohl massive Zweifel an der Tatbeteiligung bestand, wurde Sher Singh Rana aufgrund seiner öffentlichen Aussage am 27. Juli 2001 verhaftet. Die Polizei von Delhi erstellten am 23. Oktober 2001 die Anklageschrift gegen ihn und 11 weitere Personen. Am 18. September 2002 erhob ein Gericht offiziell Anklage gegen Sher Singh Rana im Zusammenhang mit dem Mord an Phoolan Devi. 

Wer ist Sher Singh Rana?

Sher Singh Rana, geboren am 17. Mai 1976 in Roorkee, Uttarakhand, wurde als Pankaj Singh Pundir in eine hinduistische Rajput-Familie geboren. Die Rajputs, auch als Thakurs bekannt, gehören zur Kshatriya-Kaste, die traditionell mit dem Kriegerstand assoziiert wird. Diese Herkunft prägte Ranas Identität und spielte eine zentrale Rolle in seinem späteren Handeln. In seiner Jugend besuchte Rana das DAV College in Dehradun, wo er sich in der Studentenpolitik engagierte. 1998 kandidierte er erstmals bei einer Studentenwahl. Im Jahr 2001 wurde er Funktionär der Uttaranchal Eklavya Sena, einer Organisation, die sich für die Interessen der Rajput-Gemeinschaft einsetzt. Beruflich war Rana unternehmerisch tätig: Er betrieb einen Spirituosenladen im Bezirk Haridwar, besaß landwirtschaftliche Flächen, eine Milchviehfarm und ein Gebäude, in dem eine Filiale der Central Bank untergebracht war. 

Sher Singh Rana gelingt die Flucht

Wie es der Zufall wollte, saß Sher Singh Rana im gleichen Gefängnis in Tihar (in der Nähe New Delhis) ein, wie Phoolan Devi. Für den Prozess sollte er am 17. Februar 2004 einem Richter in Uttaranchal vorgeführt werden. Um circa 7 Uhr passierten vier Männer in Polizeiuniform ungehindert mehrere Sicherheitsschleusen des Hochsicherheitsgefängnisses. Mit einem gefälschten Haftbefehl in der Hand gaben sie vor, Rana zur Gerichtsverhandlung bringen zu müssen. Die Gefängnisbeamten schöpften keinen Verdacht – im Gegenteil: Sie zahlten Rana sogar die standardmäßige Aufwandsentschädigung von 40 Rupien für Häftlinge, die zu Gerichtsterminen geführt werden.

Nur wenige Minuten später traf das tatsächliche sechsköpfige Polizeiteam ein, das für den geplanten Transport zuständig gewesen wäre. Da war Rana längst verschwunden – mit seinen Komplizen durch das Haupttor hinausgefahren.

„We got a shock when another police party turned up at the gates of Tihar with a warrant to take Rana away“(Gefängniswärter aus Tihar)

Die Flucht schlug große Wellen. Die Times of India und der Indian Express berichteten von gravierenden Versäumnissen der Gefängnisleitung. Zwei ranghohe Polizeibeamte und der leitende Gefängniswärter, die für die Überprüfung von Identitäten und Dokumenten zuständig gewesen wären, wurden suspendiert. Einer von ihnen war zum Zeitpunkt der Übergabe gar nicht anwesend.

Die Behörden reagierten schnell: Eine polizeiliche Untersuchung wurde eingeleitet, ein Bericht soll bis zum 24. Februar vorliegen. Für Hinweise, die zur Ergreifung Ranas führen, wurde eine Belohnung in Höhe von 50.000 Rupien (mehr als ein durchschnittlicher Monatslohn in Indien) ausgesetzt.

Besonders zynisch mutet Ranas Aussage nach seiner ursprünglichen Festnahme an: Damals hatte er laut Medienberichten gesagt, er werde „keine drei Jahre im Gefängnis verbringen“. Seine Flucht scheint diese Ankündigung auf fatale Weise bestätigt zu haben.

Zwei Jahre nach der Flucht, Festnahme in Kalkutta

Mehr als zwei Jahre war Sher Singh Rana auf der Flucht. Am 25. April 2006 klickten die Handschellen.  Sher Singh Rana wurde in der ostindischen Metropole Kalkutta von einer Spezialeinheit der Polizei Neu-Delhis festgenommen. Es war das spektakuläre Ende einer ebenso aufsehenerregenden wie langwierigen Jagd. Laut dem Polizeipräsidenten von Neu-Delhi, K.K. Paul, hatte sich Rana in den Jahren nach seiner Flucht in mehreren Ländern versteckt – unter anderem in Bangladesch, den Vereinigten Arabischen Emiraten und sogar in Afghanistan. Immer wieder entglitt er den Ermittlern knapp

„Wir haben ihn über zwei Jahre lang verfolgt und ihn mehrfach nur um Haaresbreite verpasst“ (ein an der Fahndung beteiligter Beamter)

Im Frühjahr 2006 kam schließlich der entscheidende Hinweis. Das Special Investigation Team (SIT) der Polizei stieß auf ein ungewöhnliches Detail: In Dharmatala, einem Stadtteil von Kalkutta hatte nur eine Handvoll Menschen ein Abo für eine Hindi-Tageszeitung – Rana war einer von ihnen. Dieser banale Umstand führte die Ermittler zu seiner Unterkunft. Am 25. April 2006 wurde er schließlich im Stadtteil Lake Gardens lokalisiert und festgenommen. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung war er laut Polizeiangaben dabei, ein Kohlegeschäft aufzubauen. In seinem Besitz fanden die Beamten ein Mobiltelefon und einen gefälschten Reisepass.

Nach der Festnahme wurde Rana sofort nach Neu-Delhi ausgeflogen und im Polizeirevier Lodhi Colony untergebracht. Dort wartete er auf seine erneute Vorführung vor Gericht.

Sher Singh Rana wurde am 25.April 2006 verhaftet
Foto Tribune photo by Rajeev Tyagi

Das Urteil gegen Sher Singh Rana

Es sollte noch Jahre dauern, bis die Gerichtsverhandlung gegen den 35-jährigen Sher Singh Rana überhaupt beginnen konnte – und als sie es schließlich tat, zog sich der Prozess über ein ganzes Jahrzehnt hin. Erst im Juli 2014 verkündete das Gericht, dass ein Urteil gegen die insgesamt elf Angeklagten noch ausstehe. Einer von ihnen war ein Jahr vorher in der Haft im Tihar Gefängnis verstorben.

Am 8. August gab das Gericht schließlich bekannt, dass das Urteil gegen den Hauptangeklagten Sher Singh Rana am darauffolgenden Donnerstag verkündet werde. Die übrigen zehn Angeklagten wurden freigesprochen.

„Why have you convicted only me? Others were also there“ (Sher Singh Rana nach der Urteilsverkündung)

Mehrere Zeugen hatten ausgesagt, dass zwei Männer auf Phoolan Devi geschossen hätten, bevor sie gemeinsam mit einem dritten Komplizen in einem Fahrzeug die Flucht ergriffen. Dennoch wurde am Ende nur einer zur Rechenschaft gezogen.

Die Staatsanwaltschaft hatte die Todesstrafe für Sher Singh Rana gefordert – das Urteil wurde mit großer Spannung erwartet. Am 14. August 2014 war es schließlich so weit: Richter Bharat Parashar verurteilte Rana zu lebenslanger Haft und einer Geldstrafe in Höhe von 100.000 Rupien wegen Mordes an der früheren Politikerin und einstigen „Banditenkönigin“.

Ein politischer Vorstoß sorgte dafür, dass das zunächst beantragte Todesurteil in lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt wurde.

Nicht alle zeigten sich mit dem Urteil zufrieden: Devis Schwester Rukmani äußerte gegenüber der Presse ihren Unmut über die Freisprüche der Mitangeklagten und kündigte an, sich für einen neuen Prozess einzusetzen.

Ranas Familie wiederum erklärte, dass man in Berufung gehen werde. Der Fall Phoolan Devi, der Indien jahrelang beschäftigte, war juristisch damit noch lange nicht abgeschlossen.

Der Mord wird weithin als Teil eines Rachefeldzugs zwischen den oberen und unteren Kasten angesehen. Am Tag der Urteilsverkündung versammelten sich etwa 50 junge Männer, viele mit Goldketten und Schnurrbärten, vor dem Gericht, um Rana zu unterstützen.

Sher Singh Rana – Zurück in der Politik

Nach insgesamt 13 Jahren Haft wurde Sher Singh Rana im Oktober 2016 auf Kaution und unter bestimmten Auflagen aus dem Gefängnis entlassen. Im Februar 2018 heiratete er Pratima Raje Bundela, die Tochter eines prominenten ehemaligen Politikers aus Madhya Pradesh. Gemeinsam mit seiner Schwiegermutter engagierte sich Rana in einer Organisation, die sich dem Schutz, der Förderung und der politischen Vertretung der Rajput-Gemeinschaft widmet. Die Rajputs zählen zu den einflussreichen muslimischen Gemeinschaften Indiens und sind mit zahlreichen Angehörigen im öffentlichen Dienst vertreten – darunter Beamte des Indian Administrative Service (IAS), der Polizei (IPS) sowie Offiziere des Militärs. Auch politisch nehmen sie eine bedeutende Rolle ein.

Im Mai 2018 wurde Rana erneut mit schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert: Er wurde beschuldigt, an der Ermordung von Sachin Walia beteiligt gewesen zu sein – dem Bruder des Bezirksvorsitzenden der selbstbewussten Dalit-Organisation Bhim Army. Die Mutter des Opfers, Kanti Walia, benannte ihn neben drei weiteren Personen ausdrücklich als Tatverdächtigen. Der Fall löste eine erneute öffentliche Debatte über Ranas Rolle im anhaltenden Kastenkonflikt zwischen den Thakurs (Rajputs) und den Jatav-Dalits in West-Uttar Pradesh aus.

Öffentliche Unterstützung erhielt Rana überraschend von Munni Devi, der Schwester der ermordeten Politikerin Phoolan Devi. Sie trat im Rahmen einer Rajput-Veranstaltung offen für ihn ein und erklärte, Rana sei Opfer einer Verschwörung geworden – der wahre Täter sei Phoolans Ehemann Umed Singh gewesen.

Bereits im Jahr 2012 hatte das Gericht Rana erlaubt, aus dem Gefängnis heraus seine Kandidatur für die Parlamentswahlen in Uttar Pradesh einzureichen. Zwar blieb seine Partei, die Rashtravadi Janlok Party (RJP), damals erfolglos, doch bei den Wahlen 2019 konnte sie immerhin so viele Stimmen erzielen, dass sie andere Parteien an der Erlangung der Mehrheit hinderte.

2020 ging Sher Singh Rana eine politische Allianz mit der Uttarakhand Kranti Dal (UKD) ein – mit dem Ziel, sowohl an den Wahlen in Delhi als auch an den Parlamentswahlen in Uttarakhand im Jahr 2022 teilzunehmen. Im Jahr 2021 trat Munni Devi offiziell der RJP bei und unterstützte fortan Ranas politischen Kurs.

 

Sehr Singh Rana ist auch heute noch politisch aktiv und auf Twitter sowie Instagram

 

Die Geschichte von Phoolan Devi

Hier geht es zu Teil 1 und 2 von Phoolan Devi, der Frau, die in Indien Geschichte geschrieben hat:

Phoolan Devi – Die Banditenkönigin aus Indien – Teil 1
Phoolan Devi von der Banditenkönigin zur Politikerin – Teil 2

Lesetipp: Jail Diary: Tihar Se Kabul-Kandhar Tak von Sher Singh Rana

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