Phoolan Devi - Symbolbild

Phoolan Devi – Die Banditenkönigin aus Indien – Teil 1

Phoolan Devi – das ist die Geschichte einer indischen Frau, die nach Kinderehe und Vergewaltigung zur gefürchteten Banditenchefin wurde. Doch hier ist ihr Lebensweg noch nicht zu Ende. Phoolan Devi ist ein Symbol für Rache, weibliche Stärke und Widerstandskraft. Sie ist ein Symbol des wahren Indiens.

Der Mord an Phoolan Devi

New Dehli am 25. Juli 2001, 13:30 Uhr – Schüsse knallen in der 44 Ashoka Road. Die 37-jährige Phoolan Devi wird neun Mal getroffen und bricht zusammen. Drei Männer hatten das Feuer auf sie eröffnet. Die Bodyguards der jungen Frau schossen zurück. Doch die Attentäter können in einem Auto flüchten. Phoolan Devi wird in das Lohia Hospital gebracht. Aber es war zu spät. Bei der Ankunft im Krankenhaus konnte nur mehr ihr Tod festgestellt werden. Das Parlement in Indien legte für zwei Tage seine Arbeit nieder und die Suche nach den Mördern begann.

„No one likes it when someone, especially a woman, from the lower classes rises and makes a name for herself“ (Umed Singh)

Der Mord sei ein Ergebnis des Konflikts zwischen den Kasten, so der Anwalt Kamini Jaiswal.

Aber zurück zum Anfang.

Im Schatten der Kaste

Gorai Purwa ist ein kleines Dorf im Distrikt Gonda im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh. Die Region zählt zu den ärmsten des Landes; der Großteil der Bevölkerung lebt in ländlichen Verhältnissen und in großer Armut. Viele Menschen bestreiten ihren Lebensunterhalt unter schwierigsten Bedingungen – oft reicht es kaum zum Überleben. Am 10. August – vermutlich im Jahr 1963 und anlässlich des hinduistischen Blumenfestes – bringt Moolan in Gorai Purwa eine Tochter zur Welt. Sie erhält den Namen Phoolan, was „Blume“ bedeutet. Phoolan wächst mit ihrer Mutter Moolan, dem Vater Devidin, drei Schwestern und einem Bruder in äußerst bescheidenen Verhältnissen auf.

Die Familie gehört der Kaste der Shudra an, der untersten der vier traditionellen Kasten Indiens. Zu dieser Kaste zählen Handwerker, Landpächter, Tagelöhner, Dienstboten, Feldarbeiter sowie Fischer und Bootsleute – wie auch Phoolans Familie, die zur Gemeinschaft der Mallaah gehört. Die wirtschaftliche Not war so groß, dass Phoolan in ihrer Kindheit gelegentlich sogar Ton aß, um ihren Hunger zu stillen.

Bereits früh gerät Phoolan in Konflikt mit ihrem Cousin Mayadin. Dessen Vater hatte sich einen Großteil des gemeinschaftlichen Erbes angeeignet und war dadurch zu bescheidenem Wohlstand gelangt – auf Kosten von Phoolans Familie.

Vier Söhne und eine Tochter braucht man für eine glückliche Familie (indisches Sprichwort)

Auch andere, wohlhabendere Dorfbewohner machten sich ihre gesellschaftliche Überlegenheit zunutze und behandelten wirtschaftlich schwächere Familien mit Geringschätzung. Für Phoolans Familie stellte zudem die familiäre Konstellation ein weiteres Problem dar: Vier Töchter und nur ein Sohn bedeuteten in der patriarchalisch geprägten Gesellschaft Indiens eine große Belastung. Mädchen galten als gesellschaftlich minderwertig – vor allem deshalb, weil Eltern bei einer Heirat eine Mitgift zu entrichten hatten, was für arme Familien kaum zu bewältigen war.

Phoolan Devi war etwa elf Jahre alt, als sie dem etwa 35-jährigen Putti Lal zur Ehe gegeben wurde. Obwohl er versprochen hatte, sie noch einige Jahre bei ihrer Familie zu lassen, nahm er sie unmittelbar nach der Hochzeit mit in sein Dorf. Für das noch kaum der Kindheit entwachsene Mädchen begann damit ein Leben voller Leid und Missbrauch – das eigentliche Grauen nahm seinen Lauf.

 

Die Heimat von Phoolan Devi
Die Heimat von Phoolan Devi

 

Das Grauen nimmt kein Ende

Fernab ihrer Familie wurde Phoolan von ihrem Ehemann Putti Lal regelmäßig schwer misshandelt. Als er versuchte, sie zu vergewaltigen, gelang es dem jungen Mädchen zunächst zu fliehen. Doch bereits eine Stunde später fand er sie, zerrte sie an den Haaren zurück und sperrte sie in einen Stall. Erst nach etwa einer Woche konnte ihr Onkel sie befreien und zurück ins heimatliche Dorf bringen. Doch der scheinbare Schutz währte nur kurz – Putti Lal holte sie wieder zu sich. Schließlich war die Elfjährige seine rechtmäßige Ehefrau.

In den darauffolgenden Jahren setzten sich die Misshandlungen fort, bis Putti Lal schließlich das Interesse an ihr verlor und sie nach Gorai Purwa zurückbrachte. Von da an galt Phoolan als „rechtlos“ – eine Frau ohne Schutz durch einen Ehemann, die gesellschaftlich als vogelfrei betrachtet wurde. Jeder glaubte, sich an ihr vergreifen zu dürfen. Phoolan wurde geschlagen, mehrfach vergewaltigt – von durchreisenden Männern, Banditen und sogar einer Gruppe von Polizisten. Unterstützung erfuhr sie keine. Selbst auf offener Straße wurde sie angegriffen, ohne dass jemand einschritt.

Eines Tages begegnete ihr ein örtlicher Verwalter aus der Kaste der Thakur und fragte unverblümt nach ihr. Er habe Interesse, schließlich habe sie ja „sowieso mit allen geschlafen“. Doch seine Respektlosigkeit richtete sich an die Falsche: Phoolan Devi selbst stand ihm gegenüber. Aus purer Wut schlug sie ihn mit einem schweren Ast nieder.

„Du wolltest Phoolan – Hier hast du Phoolan,“

schrie sie hinter ihm her, als er das Weite suchte.

Phoolan Devi  – die  Geburt einer Legende

Etwa einen Monat später – Phoolan Devi war zu diesem Zeitpunkt etwa 17 Jahre alt – drang mitten in der Nacht eine Gruppe bewaffneter Banditen in ihr Heimatdorf Gorai Purwa ein und entführte sie. In Todesangst glaubte Phoolan zunächst, die Männer seien gekommen, um sie für die Schläge gegen den Thakur zu bestrafen – sie rechnete mit ihrer Ermordung. Bald jedoch erfuhr sie, dass ihr eigener Cousin Mayadin die Entführung in Auftrag gegeben hatte. Die Bande, sogenannte Dacoits, wurde von zwei Männern angeführt: Baboo Gujar Singh, einem Angehörigen der zweiten Kaste, und Vickram Mallah, einem Mitglied derselben Kaste wie Phoolan – den Mallaah, den traditionellen Bootsleuten. Diese Konstellation sorgte innerhalb der Gruppe bald für Spannungen, nicht zuletzt, weil Vickram ein besonderes Interesse an Phoolan zeigte.

Phoolan hatte inzwischen ihre traditionelle Frauenkleidung gegen praktische Männerkleidung getauscht – eine pragmatische Entscheidung, die ihr in der rauen Umgebung Schutz und Bewegungsfreiheit bot. Eines Nachts eskalierte ein Streit in der Bande: Baboo Gujar Singh wollte Phoolan vergewaltigen. Vickram stellte sich schützend vor sie und erschoss Singh – ebenso wie jene Banditen, die sich auf dessen Seite gestellt hatten. Vickram war der erste Mann, der Phoolan beschützte und sich offen für sie einsetzte. Kurz darauf heirateten die beiden. In ihrer ersten gemeinsamen Nacht erzählte Phoolan ihm von ihrer Kindheit und der Zwangsehe mit Putti Lal. Vickram brachte ihr den Umgang mit Waffen bei, und bald führten sie gemeinsam die Bande der Dacoits an.

Ihre Raubzüge waren nicht nur von Überlebenswillen, sondern auch von Rache geprägt: So überfielen sie Putti Lal. Phoolan schlug ihn, setzte ihn nackt auf einen Esel und führte ihn unter dem Gelächter der Dorfbewohner durch das Dorf – eine symbolische Abrechnung mit ihrer Vergangenheit.

Das Glück ist nur von kurzer Dauer

Zum ersten Mal in ihrem Leben empfindet Phoolan Devi so etwas wie Glück. Gemeinsam mit Vickram besucht sie ihre Familie, wo dieser feierlich verspricht, gut auf seine Frau achtzugeben. In Gorai Purwa begegnet Phoolan auch ihrem Cousin Mayadin wieder – jenem Mann, der einst ihre Entführung in Auftrag gegeben hatte. Die alte Wut flammt erneut in ihr auf.

Um sie zu beruhigen, bringt Vickram ihr den Polizeioffizier, der sie Jahre zuvor gemeinsam mit anderen vergewaltigt hatte. Phoolan vollstreckt an ihm ihre persönliche Gerechtigkeit – sie richtet ihn eigenhändig hin. Doch mit dieser Tat geraten sie und Vickram weiter ins Visier der Behörden: Es wird ein Kopfgeld auf Phoolan ausgesetzt.

Kurz darauf stößt Shiri Ram zur Bande – ein ehemaliger Gefolgsmann Vickrams, Angehöriger der höheren Kaste der Thakur (auch Rajput). Seine Ankunft bringt erneut Spannungen innerhalb der Gruppe, insbesondere zwischen den Kasten. Die Situation eskaliert, als Shiri Ram in einem Streit auf Vickram schießt. Die Dacoits bringen den schwer verletzten Anführer in eine Stadt, wo ein Arzt die Kugel entfernt und Vickrams Leben rettet – vorerst.

Währenddessen rückt die Polizei der Bande immer näher. Mehrere Mitglieder werden bei Zusammenstößen erschossen. Phoolan und Vickram entgehen der Entdeckung – doch nur für kurze Zeit: Shiri Ram trifft erneut auf Vickram und erschießt ihn kaltblütig.

Anschließend verschleppt er Phoolan in das Dorf Behmai. Dort wird sie wochenlang brutal misshandelt – teils öffentlich, unter Duldung oder Beteiligung der Dorfbewohner. Sie wird geschlagen, vergewaltigt und gedemütigt. Schließlich gelingt ihr mit Hilfe eines früheren Freundes Vickrams die Flucht. Nach tagelanger Flucht durch Gestrüpp, Felsen und Ödland entdeckt eine Schäferin die schwer verletzte junge Frau und nimmt sich ihrer an.

Während ihrer Genesung schwört Phoolan Devi blutige Rache – an Shiri Ram, dem Mann, der sie der Massenvergewaltigung ausgesetzt und ihr das Liebste genommen hatte: den einzigen Menschen, der sie je beschützt und geachtet hatte.

Das Valentins Massaker von Behmai

Nach ihrer vollständigen Genesung fasste Phoolan Devi einen folgenschweren Entschluss: Sie wollte eine eigene Bande gründen. Entschlossen wandte sie sich an einen alten Vertrauten, einen muslimischen Bandenführer, und bat ihn um Unterstützung. Mehrere Männer schlossen sich ihr freiwillig an – beeindruckt von ihrer Entschlossenheit und ihrer Geschichte.

Phoolan führte ihre Bande mit eiserner Hand. Ziel ihrer Überfälle waren insbesondere Angehörige der Thakur-Kaste – jene Kaste, die sie für ihr Leid und ihre Demütigungen verantwortlich machte. Die Raubzüge waren brutal und präzise. Doch das erbeutete Geld behielt Phoolan nicht für sich: Sie verteilte es an Arme und Mitglieder der unteren Kasten. So wuchs ihr Ruf als „indischer Robin Hood“ – eine Frau, die sich nicht nur rächte, sondern auch jene unterstützte, die wie sie am Rand der Gesellschaft standen.

Wurde ihr zugetragen, dass eine Frau vergewaltigt worden war, nahm sie grausame Rache an den Tätern – im Namen jener, deren Stimmen sonst ungehört blieben.

Am 14. Februar 1981, dem Valentinstag, war ihre Zeit der Abrechnung gekommen. Die Stunde der Vergeltung schlug. Phoolan Devi und ihre Bande, verkleidet in Polizeiuniformen, stürmten das Dorf Behmai – jenen Ort, in dem sie 17 Monate zuvor Opfer einer öffentlichen Massenvergewaltigung geworden war.

Vom Dach eines Hauses rief die „Banditenkönigin“ mit einem Megaphon in die versammelte Menge:

„Ich weiß, dass diese Mother-fucker-Bastarde Shri Ram und Lala Ram hier sind! Wenn ihr sie versteckt, werden wir unsere Gewehre in eure Ärsche stecken und euch in die Luft jagen!“

Die Banditen durchkämmten systematisch jedes Haus des Dorfes – doch Shri Ram war nicht aufzufinden. Daraufhin trieben sie alle Männer des Ortes auf dem zentralen Platz zusammen, in der Hoffnung, Informationen über den Aufenthaltsort von Shri Ram und dessen Bruder Lala Ram zu erhalten.

Als niemand Auskunft gab, führten die Banditen die versammelten Männer an das nahegelegene Flussufer – und eröffneten das Feuer. Phoolan Devi selbst erschoss sechs von ihnen eigenhändig. Insgesamt verloren an diesem Tag 20 Männer ihr Leben. Zum Abschluss hinterließ Phoolan Devi eine handgeschriebene Botschaft auf einem Zettel:

 »Ich werde nicht ruhen, bis ich auch das Blut der beiden Brüder getrunken habe.«

 

So geht es mit Phoolan Devi weiter: Phoolan Devi von der Banditenkönigin zur Politikerin – Teil 2

 

 

 

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