Refugee-Guide: Machwerk der Vorurteile – Teil 2

Der Refugee-Guide des Innenministeriums beinhaltet zahlreiche sprachliche Mängel. Daneben gibt es auch Probleme auf inhaltlicher Ebene.

Problem – Inhaltsebene, Refugee-Guide

Diese sprachlichen Mankos werden auch von inhaltlichen Problemen begleitet. Man hat das Gefühl, als wäre diese Broschüre von Hilfskräften und Praktikanten in der Kaffeepause zusammengeschustert worden. Offensichtlich hat das österreichische Innenministerium zusammen mit Johanna Mikl-Leitner gewisse Probleme Informationen, Gesetze, Werte und Behauptungen auseinanderzuhalten. Gleichzeitig sind einige der Aussagen in diesem Refugee-Guide einfach falsch.

Grundregeln – Refugee-Guide

Der Refugee-Guide startet mit den Grundregeln. Wobei es sich hier schon mal nicht um Regeln handelt. Einer der ersten Aussagen auf dieser Seite lautet „Österreich ist mitten in Europa“. Ja, das stimmt, keine Frage. Aber wozu soll diese Information dienen? Man kann getrost davon ausgehen, dass die meisten Flüchtlinge wissen, wo sie gelandet sind. Gleich darauf liest man die äußerst subjektive Behauptung: „Den meisten Menschen in Österreich geht es gut“. Vielleicht sollte man mal einen Blick auf die Zahl der Working Poor werfen, oder auf die vielen Kinder und Jugendlichen werfen, die an der Armutsgrenze leben. Bei der Aussage handelt es sich nur um eine nicht haltbare und nicht überprüfbare Behauptung. Mit Werten, die ja hier vermittelt werden sollen, hat diese Behauptung auch nichts zu tun.

Es stimmt zwar, dass die meisten Menschen in Österreich Christen sind. Aber grundsätzlich wurde hier vergessen, zu erwähnen, dass es in Österreich 16 anerkannte Kirchen und Religionsgemeinschaften gibt, wovon nicht alle christlich geprägt sind. Diese sind alle Teil von Österreich. Sie nicht zu erwähnen ist diskriminierend.

Bei der nächsten Aussage frage ich mich schon die ganze Zeit, wer diese Idee dazu hatte: „In Österreich halten die Menschen zusammen.“ An welchen Kriterien lässt sich so eine Aussage festmachen? Zusammenhalt ist doch eher etwas, das man aus anderen Kulturkreisen kennt, wo die Großeltern auf die Kinder aufpassen, sich Nachbarn gegenseitig unterstützen, alte Menschen nicht in Heimen landen, usw.

Menschenwürde

Auch die Seite im Refugee-Guide über die Menschenwürde ist nicht besser. Hier wird behauptet, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben. Jeder Flüchtling, der länger als einen Tag in Österreich verbracht hat, weiß dass dies nicht stimmt: Er darf nicht arbeiten, er darf sich – auch innerhalb von Österreich – nicht aussuchen in welchem Bundesland er wohnen will. Jeder andere, der in Österreich leben will, darf sich seinen Wunsch-Wohnort selbst auswählen.

Interessant finde ich persönlich die Behauptung, dass wir uns in Österreich zur Begrüßung die Hand geben. Auch das stimmt so nicht. Jeder, der glaubt, würden das tatsächlich machen, soll zukünftig, jedem, dem er begegnet zur Begrüßung die Hand reichen: der Verkäuferin an der Kassa, dem Kellner in der Bar, dem Arzt in der Notaufnahme. Nein, wir geben definitiv nicht jedem die Hand zur Begrüßung. Wenn wir ehrlich sind, geben wir den wenigsten Leuten, mit denen wir zu tun haben, die Hand. Diese Behauptung, dass wir uns zur Begrüßung die Hand geben, fußt wieder auf einem Vorurteil bzw. auf den Medienbericht über einen Fußballer, der einer Frau die Hand nicht reichen wollte. Gerade in arabischen Ländern ist Höflichkeit sehr groß geschrieben, und jeder, der einmal mit Flüchtlingen – nicht als Institution von oben herab – zu tun hatte, wird festgestellt haben, dass diese zur Begrüßung Männern wie Frauen die Hand reichen. Aber um das zu erkenne, müsste das Innenministerium zusammen mit Johanna Mikl-Leitner wohl mal über den eigenen Tellerrand schauen.

Die nächste Aussage dieser Seite ist ein Gesetz und kein Wert. In Österreich ist Gewalt strafbar, das ist nicht diskutierbar. Man muss es nicht als Wert verkaufen, wenn es keiner ist.

Hier kommen wir gleich zum nächsten Problem in diesem Refugee-Guide. Es wird den hier ankommenden Menschen unterstellt, dass sie gewalttätig und rücksichtslos seien. Warum muss beispielsweise extra darauf hingewiesen werden, dass man in der Nacht leise zu sein hat? Jeder, der einmal Österreich verlassen hat, wird festgestellt haben, dass es auch woanders Menschen gibt, die in der Nacht schlafen und am Tage arbeiten. Es wurde hier wohl auch vergessen zu erwähnen, dass die Ruhezeiten in den meisten Hausordnungen festgelegt wurde und es auch während des Tages Ruhezeiten gibt.

Freiheit

Auch bei der Idee der Freiheit gibt es in diesem Refugee-Guide überdenkenswerte Aussagen: „Religion ist eine private Angelegenheit“ – zumindest in der Theorie: Wie sonst erklären sich die Diskussionen über ein Burka-Verbot, warum hängen immer noch Kreuze in den Schulen und warum darf ein Politiker in Österreich Religion für seine Wahlwerbung und für seine Hetze verwenden? Warum wird in diesem Guide extra erwähnt, dass die meisten Menschen hier Christen sind, wenn Religion doch Privatsache ist? Warum ist die Erstkommunion Teil des Lehrplans der zweiten Klasse Volksschule? Nein. Religion ist in Österreich definitiv nicht Privatsache.

Gleichberechtigung

Auch die Seite mit der Gleichberechtigung hat so ihre Tücken. Vor allem muss man sich in diesem (und noch in einem weiteren Zusammenhang in diesem Guide) fragen, wie weit das Innenministerium über die Gesetze in Österreich Bescheid weiß. Hier ist jedenfalls zu lesen, dass in Österreich jede Frau selbst entscheiden kann, wen und ob sie heiratet. Diese Aussage stimmt nicht. In Österreich ist es Frauen nämlich nicht erlaubt eine andere Frau zu heiraten. Es ist Männern übrigens auch nicht erlaubt einen Mann zu heiraten.

Rechte der Kinder

Weiters wird in diesem Guide (Rechte der Kinder) behauptet, dass Kinder hier ein Recht auf Bildung haben. Dieses Recht erlischt aber – zumindest bei Flüchtlingskindern – mit dem Ende der Unterrichtspflicht. Gerade diese Kinder haben nämlich keine Chance dann noch in einer Schule unterrichtet zu werden. Also wird hier offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen.

Gleichzeitig wird hier behauptet, dass alle Kinder in Österreich zur Schule gehen müssen. Auch das stimmt nicht. In Österreich gibt es keine Schulpflicht. Es gibt hier lediglich eine Unterrichtspflicht. Jeder hat das Recht, sein Kind zuhause zu unterrichten. Kein Kind muss zur Schule gehen.

Auch diese Seite im Refugee-Guide bedient sich wieder Vorurteilen. Warum muss darauf hingewiesen werden, dass es in Österreich Sport- und Schwimmunterricht gibt? Warum muss erwähnt werden, dass daran teilgenommen werden muss? Immerhin gibt es auch in den Ländern aus denen viele Flüchtlinge stammen erfolgreiche Athletinnen und Athleten. Als Beispiel seien hier die marokkanische Schwimmerin Sara El-Bekri, Olympiateilnehmerin 2012 genannt, oder das Magazin Shirazanan global eine Zeitschrift für muslimische Sportlerinnen.

Fazit

Grundlage vieler Aussagen in diesem Guide sind klischeehafte Vorurteile, die Menschen aus anderen Kulturkreisen entgegengebracht werden. Viele der Flüchtlinge stammen aus Gegenden mit einem guten Schulsystem, mit Universitäten, mit einem guten sozialen Netz. Die meisten Menschen fliehen vor Gewalt – warum wird ihnen unterstellt, dass sie gewalttätig seien? Viele haben eine gute Ausbildung, warum wird extra darauf hingewiesen, dass sie diese auch für ihre Kinder anstreben sollen? Warum wird von vornherein unterstellt, dass Flüchtlinge ein Problem mit der Gleichstellung von Frauen und Männern haben? Warum wird von vornherein davon ausgegangen, dass Flüchtlinge ihre Kinder schlagen? Ein Refugee-Guide sollte eine Hilfestellung für geflüchtete Menschen sein und nicht ein Spiegel von Vorurteilen.

Das einzige, was dieser Refugee-Guide vermittelt, ist, dass wir ein vorurteilsbehaftetes Volk sind, das es – trotz Globalisierung – nie geschafft hat, über das eurozentrische Denken hinaus zu wachsen. Wirkliche, positive, österreichische Werte sucht man diesem Guide daher auch vergebens.

 

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