Widerstand im Zweiten Weltkrieg

Frauen im Widerstand – Die Schwestern Oversteegen

Spricht man über Frauen im Widerstand währen des Nationalsozialismus, denkt man sofort an Sophie Scholl und die Weiße Rose. Aber sie war bei weitem nicht die Einzige. In den Niederlanden lockten drei junge Mädchen Nazis in die Falle.  

Die Deutschen fallen in den Niederlanden ein

Im März 1938 maschieren die Nazis in Österreich ein. Im September 1939 überfällt die Wehrmacht Polen und die Niederlande deklarieren – wie schon im Ersten Weltkrieg – ihre Neutralität. Kurz darauf erklären Großbritannien und Frankreich dem Deutschen Reich den Krieg. Es sollte aber nicht lange dauern, bis die deutsche Wehrmacht die Niederlandeam 10. Mai 1940 angriff. Die Königin Wilhelmina und ein großer Teil ihrer Regierung flohen nur vier Tage später nach London ins Exil. Am 17. Mai kapitulierten die Niederlande. Ab Feber 1941 begannen die Nationalsozialisten mit gezielten Razzien, um untergetauchte Juden aufzuspüren und sie dann zu deportieren und zu ermorden. Bis im September 1944 waren die Deportationen von Juden, Sinti und Roma aus den Niederlanden so gut wie abgeschlossen. Obwohl der Großteil der niederländischen Bevölkerung spurte, machte sich im Untergrund Widerstand breit. 

Flucht von Deutschland in die Niederlande

In den Niederlanden waren seit einem Gesetz von 1849 alle Flüchtlinge willkommen, solange sie keine Gefahr für die Allgemeinheit darstellten. Auch wenn sich die Gesetze im Laufe der Zeit verschärften, kamen viele jüdische und andersdenkende Flüchtlinge mit Aufkommen des Nationalsozialismus von Deutschland in die Niederlande. Es dauerte nicht lange, da schlossen die Niederlande ihre Grenzen für jüdische Flüchtlinge und Einheimische, die Flüchtlinge versteckten wurden mit Bußgeldern und Haft bestraft. Es wurde geschätzt, dass noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs zwischen 35.000 und 50.000 Personen aus Deutschland in die Niederlande flüchteten. Mit der Invastion der Deutschen wurde das Leben in den Niederländern immer schwieriger. Viele Menschen litten an Hunger und rutschten in Armut ab. Die Politik der Deutschen in den Niederlanden war vor allem durch wirtschaftliche Ausbeutung geprägt. Hunderttausende Niederländer arbeiteten als Zwangsarbeiter im Deutschen Reich. Gleichzeitig tauchten aber viele Menschen unter, um so dem Arbeitseinsatz zu entgehen.

Widerstand ab dem Tag der Kapitulation

Die niederländische Bevölkerung steht nach dem Einfall der deutschen Wehrmacht zunächst unter Schock. Fast gleichzeitig mit der Kapitulation gründeten sich die ersten Widerstandszellen. Die erste Widerstandsgruppe trug den Namen Geuzen. Auch die niederländische Kommunistische Partei organisierte rasch Untergrundgruppen. Zwei Jahre später eurde die ‚Landelijke Organisatie voor Hulp aan Onderduikers‘ (LO) gegründet. Diese Untergrundorganisation versorgte Untergetauchte mit falschen Papieren und Lebensmittelkarten. Es wird geschätzt, dass am Höhepunkt rund 350.000 Menschen versteckt wurden, darunter 25.000 Jüdinnen und Juden. Der niederländische Widerstand setzte sich sowohl aus niederländischen Monarchisten und Anhängern der Exilregierung, wie auch linken internationalistischen Widerstandsgruppen zusammen. Unterstützt wurde der Widerstand auch durch den britischen Nachrichtendienst für spezielle Operationen im Zweiten Welkriegs, Special Operations Executive (SOE).

Auch Frauen spielten im Widerstand eine wichtige Rolle.

 
Die Familie Oversteegen – Plötzlich im Widerstand

Trijntje van der Molen (1899 bis 1956) heiratete 1921 Jacob Wilhelm Oversteegen verheiratet. Gemeinsam hatten sie zwei Töchter: Truus (1923), die etwas jüngere Freddie (1925). Die Familie lebte zunächst auf einem Hausboot im Norden der Stadt Haarlem in Nordholland. Schon früh war die Familie politisch aktiv. Ein Bruder Jacobs war der Spitzenkandidat einer Partei in Haarlem, die sich gegen die Wahlpflicht einsetzte. 1932 ließen sich Trijntje und Jacob Wilhelm scheiden. Daraufhin engagierte sich Trijntje vermehrt in der Kommunistischen Partei der Niederlande (CPN). Außerdem lebte Trijnte nun mit drei Kindern, den zwei Töchtern und deren Halbbruder Robbie, nicht mehr am Hausboot sondern übersiedelte in ein kleines Häuschen.

Das Geld war jedoch immer knapp und die Familie lebte von der Hand in den Mund und war auf Unterstützung angewiesen. Die Kinder schliefen auf Strohmatratzen, die die Mutter selbst gemacht hatte. Dennoch nahm die Familie schon ab 1933 immer wieder deutsche Flüchtlinge, Juden und Homosexuelle auf und versteckte sie.  Schon früh lernten die Kinder, dass sie nicht über die versteckten, politischen Flüchtlinge in ihrem Haus reden dürften. Sofort nach dem Einmarsch der Deutschen wandte sich Trijntje an die Partei und meinte, sie möchte unbedingt etwas gegen die Besatzung unternehmen. Im Februar 1941 kam ein Mitglied der CPN mit Flublättern. Mit diesen sollte zum Februarstreik aufgerufen werden. Trijntje verteilte diese gemeinsam mit anderen Frauen, dem siebenjährigen Robbie, der 15-jährigen Freddie und der 17-jährigen Truus.

Widerstand als Männersache

Zunächst verfassten die Oversteegens illegale Flublätter und verteilten sie. Sie überklebten Plakate der Nationalsozialisten, mit denen sie für den Arbeitseinsatz in Deutschland worben. Auf den Plakaten stand eindringlich:

„Für jeden Niederländer, der in Deutschland arbeitet, wird ein Deutscher an die Front gehen!“

1941 wurde der Kommandeur der kommunistischen Widerstandsgruppe Raad van Verzet (RVV) aus Haarlem auf die drei Frauen aufmerksam. Er überzeugte Trijntje, ihre zwei Mädchen im Untergrund aktiv werden zu lassen. Sie erlaubte es den beiden – allerdings nur unter einer Bedingung:

„Bleibt immer menschlich!“

Daraufhin lernten Truus und Freddie das Schießen,  Techniken des Widerstands, marschieren und Techniken zum Überleben. Die RVV erkannte, dass so junge Mädchen den Nazis nicht verdächtig vorkommen würden. Die Nazis hielten Widerstand für Männersache – und schon gar nicht die Aufgabe von 14- und 16-jährigen Mädchen. So konnten Truus und Freddie nahezu unbehelligt mit ihren Waffen umherfahren und die zahlreichen Straßensperren ohne Durchsuchungen passieren. So bildete sich bald eine kleine, siebenköpfige Widerstandsgruppe, der Truus und Freddie angehörten. Auch die etwas ältere Jannetje Johanna „Jo“ SchaftHannie (1920 – 1945) war ab 1943 Teil des Teams. Bald blieb es nicht mehr nur bei Flugblättern und Botendiensten. Der Widerstand wurde militanter.

Drive by Shooting und die Masche der Sex-Falle

Der RVV observierte ranghohe Offiziere der Gestapo und SS und plante verschiedene Attentate und Anschläge. Diese Anschläge auf ein deutsches Kaufhaus, Straßen- und Eisenbahnbrücken und Straßen wurden häufig durch Truus, Freddie und Hannie ausgeführt. Sie setzten aber auch Munitionslager in Brand. Die Mädchen waren so unauffällig, dass es ihnen gelang, Offiziere auf offener Straße von ihrem Fahrrad aus zu erschießen. Das letzte gemeinsame Attentat fand am 15. März 1945 statt: Ziel war der Friseurmeister Ko Langendijk, der als Kollaborateur für den deutschen Sicherheitsdienst tätig war. Gemeinsam mit einer weiblichen Begleitung war er in Haarlem unterwegs, als sich die drei jungen Frauen auf Fahrrädern näherten. Seine Begleiterin ahnte offenbar die Absicht und rief: „Ko, erschieß die Schlampen!“ Langendijk eröffnete das Feuer, verfehlte jedoch. Im Gegenzug wurde er selbst von mehreren Kugeln getroffen. Die drei Widerständlerinnen flüchteten in ein nahegelegenes Café. Währendder anschließenden Razzia der Nationalsozialisten taten die drei Widerständlerinnen so, als wären sie stark betrunken.

Besonders häufig gingen Truus oder Freddie in Wirtshäuser, um dort mit Nazis und niederländischen Kollaborateuren zu flirten. Diese gingen in der Hoffnung auf ein Sex-Abenteuer mit den hübschen, jungen Mädchen mit in den angrenzenden Wald. Dort wurden die Männer dann erschossen. Wie sie später zugaben, belasteten dise Liquidierungen die jungen Mädchen schwer. Gemeinsam mit Johanna Schaft transportierten Waffen und gefälschte Ausweispapiere, versteckten Dissidenten und schmuggelten jüdische Kinder aus dem Land. Dabei scheuten sie selbst die Gefahr von Minenfeldern oder Fliegerbomben nicht.

Gescheiterter Rettungsversuch

Im Jahr 1943 bekam Truus den Auftrag 12 jüdische Kinder zu retten. Sie waren in Gefahr, von den Nationalsozialisten entdeckt zu werden. Truus verkleidete sich damals als Krankenschwester des Roten Kreuzes. Die Rettungskation soll zuerst mit dem Zug und dann mit dem Boot erfolgen. Jedoch stellte sich bald heraus, dass der Zug voll mit bewaffneten Nationalsozialisten war. Um die Kinder zu retten, tat sie so, als wäre sie auf Seiten der Nazis. Als ein Bub sich weigerte den Hitlergruß zu machen, gab sie ihm eine schallende Ohrfeige. Auch nachdem der Soldat die Papiere überprüft und wieder gegangen war, war der Bub immer noch wütend. Als die Gruppe den Zug verlassen hatten, mussten sie sich am Ufer eines Flusses verstecken, bis sie endlich auf das Boot konnten. Am anderen Ufer sah man die Suchscheinwerfer. Plötzlich erreichten diese die Flüchtenden, die Soldaten schossen und das Boot kenterte. Nur Truus und ein dreijähriges Mädchen überlebten.

 

Hannie überlebt den Krieg nicht

Hannie hatte auffallendes rotes Haar, wodurch sie bei einem Attentat von einigen Passanten erkannt wurde. Daraufhin kam sie bei den Nationalsozialisten in den Niederlanden ganz oben auf die Fahndungsliste der Polizei und Gestapo und wurde zum Nationalfeind Nr. 1 erklärt. Daraufhin machte sie mit schwarz gefärbten Haaren und Brille einfach weiter. Am 21. März 1945 wurde sie bei einer Straßenkontrolle durch NS-Besatzer verhaftet. Man hatte sie am roten Haaransatz erkannt. Mit dabei hatte sie mehrere Exemplare der kommunistischen Untergrundzeitung „De Waarheid“ (Die Wahrheit) und ihre Pistole. Die Nazis verhörten und folterten sie tagelang. Truus Oversteegen  versuchte noch als Krankenschwester Hannie zu befreien. Jedoch war es schon zu spät: Mit 24 Jahren wurde Hannie Schaft in den Sanddünen westlich von Haarlem am 17. April 1945 hingerichtet.

Am 5. Mai 1945 – wenige Tage nach der Hinrichtung Hannies – waren die Niederlande wieder frei. Ende 1945 erhielt sie ein Ehrengrab und ihr wurde posthum das Wilhelmina-Widerstandskreuz verliehen. Posthum ist sie Trägerin der Medal of Freedom der USA. Unter anderem erinnert der Film „Das Mädchen mit den roten Haaren“ an ihre Heldentaten.

Johanna Schaft war ursprünglich eine Jusstudentin als sie 1938 von zwei jüdischen Studentinnen von der Jugenverfolgung in Deutschland erfuhr. Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in den Niederlanden half sie niederländischen Juden mit falschen Papieren, Essensmarken oder mit einem Unterschlupf. 1943 wurde sie von der Universität ausgeschlossen, da sie sich weigerte eine Loyalitätserklärung gegenüber der nationalsozialistischen Universitätsleitung zu unterzeichnen. Mit ihrer gewonnen Freizeit wandte sie sich dem militanten, kommunistischen Widerstand zu. Sie sprach fließend Deutsch und ließ sich oft mit Deutschen Männern ein um so an Informationen zu kommen.

Als der erste Schuss ihren Kopf nur streifte, soll Hannie Schaft während ihrer Hinrichtung noch gerufen haben

„Au! Ich schieße besser!“

Grundsätze und Menschlichkeit

Der österreichische Jurist Arthur Seyß-Inquart war in den letzten Wochen vor dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich Innenminister und wenige Tage lang Bundeskanzler von Österreich. Bei Hitlers Auftritt und Rede auf dem Wiener Heldenplatz am 15. März 1938 hielt Seyß-Inquart eine kurze Rede. Am 18. Mai 1940 ernannte Hitler ihn zum Reichskommissar für die Niederlande. Unter anderem war er als Reichskommissar für den Aufbau des deutschen Besatzungsregimes, die wirtschaftliche Ausbeutung des landes, Einführung der Zwangsarbeit und die Deportation der niederländischen Juden zuständig. Zu seinem Aufgabengebiet gehörte auch die Verfolgung und Erschießung von Widerstandskämpfern.

Eines Tages erhielten Hannie, Truus und Freddie den Auftrag, die Kinder von Reichskommissar Arthur Sey?-Inquart zu entführen. Jedoch erinnerten sich die beiden Oversteegen-Schwestern an die Worte ihrer Mutter: „Bleibt immer menschlich!“. Geplant wäre gewesen, die Kinder gegen gefangene Mitglieder des RVV einzutauschen. Jedoch ware es notwendig gewesen, die Geiseln zu erschießen. Aus diesem Grund lehnten sie dieses Entführung.

„Widerstandskämpfer töten keine Kinder.“ (Freddie Oversteegen)

Die Kinder zu entführen und im Zweifel erschießen müssen, hatte die drei Widerstandskämpferinnen zu sehr an die Terrorherrschaft der Nazis erinnert. 

Truus und Freddie – kaum bekannte Widerstandskämpferinnen

Truus und Freddie Oversteegen überlebten den Zweiten Weltkrieg und ihren Einsatz im Widerstand. In den kommenden Jahren war es in den Niederlanden wie in vielen anderen Gebieten des Deutschen Reiches das gleiche: Linke Widerstandskämpfer wurden mundtot gemacht, Nazi-Kollaborateure kamen in hohe Staatsämter. Truus Oversteegen wurde Malerin und Bildhauerin. Sie verarbeitete ihre Erlebnisse in ihrer Kunst, die unter dem Namen ihres Ehemanns Menger bekannt wurde. Truus hatte ihren Ehemann im Widerstand getroffen und so eine Möglichkeit gefunden, über ihr erlebtes zu sprechen. Sie hat eine Tochter, die sie in Gedenken an Hannie Schaft – Hannie Menger – benannte. Sie hielt auch Vorträge an Universitäten Truus starb am 18. Juni 2016 in Haarlem.

Für Freddie war die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg schwieriger, sie litt unter dem wachsenden Antikommunismus. Sie fühlte sich ausgestoßen im eigenen Land. Auch sie heiratete und hatte drei Kinder. Erst mit dem Film „Das Mädchen mit den roten Haaren“ wurden die verdienste der drei Widerstandskämpferinnen ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Erst gegen Ende ihres Lebens erklärte sich Freddie bereit,m an einem Dokumentarfilmprojekt unter dem Titel „Twee zussen in verzet“ („Zwei Schwestern im Widerstand“) mitzuarbeiten. Freddie starb am 5. September 2018 am Tag vor ihrem 93. Geburtstag.

Truus und Freddie Oversteegen bekamen 2014 das Mobilisatie-Oorlogskruis, eine hohe Auszeichnung für militärische Verdienste. Zu ihrem 75. Geburtstag 1998 wurde Truus Oversteegen wegen ihrer Verdienste zum Officier des Ordens von Oranje-Nassau ernannt. Am 10. Mai 1967 erkannte Yad Vashem Truus Obersteegen als Gerechte unter den Völkern – Israels höchte Würde für Nicht-Juden, die ihr Leben im Holocaust riskierten, um Juden zu retten.

Für alle, die einen Besuch in den Niederlanden planen und sich für das Thema interessieren:

Niederländisches Widerstandsmuseum

Anne Frank Haus

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