Afghanistan – Fausia Kufi – Nur eine Tochter
Fausia Kufi erzählt in ihrer Autobiografie „Nur eine Tochter. Eine Frau verändert Afghanistan“ von ihrer Kindheit im Norden Afghanistans, vom Einfall der Sowjetunion, dem Kampf der Mudschahedin und dem Aufstieg und der Machtübernahme der Taliban und den Auswirkungen auf die Bewohner Afghanistans speziell auf Frauen und Kinder.
Fausia Kufi – Bildung bringt Unabhängigkeit
In „Nur eine Tochter“ schildert die afghanische Politikerin und Frauenrechtlerin Fausia Kufi ihre außergewöhnliche Lebensgeschichte – von ihrer Kindheit in einer patriarchalen Gesellschaft bis zu ihrem Aufstieg als eine der bekanntesten Stimmen Afghanistans. Das Buch ist gleichermaßen Autobiografie, Zeitdokument und Plädoyer für die Rechte von Frauen in einem Land, das von jahrzehntelangen Kriegen und extremen sozialen Ungleichheiten geprägt ist.
Bereits die Eröffnung des Buches ist erschütternd: Als unerwünschtes Mädchen der Lieblingsfrau eines einflussreichen Stammesführers geboren, wird Fausia Kufi unmittelbar nach der Geburt im Freien ausgesetzt. Dass sie überlebt, ist dem Widerstand ihrer Mutter zu verdanken – und ein frühes Symbol für den lebenslangen Kampf gegen gesellschaftliche Erwartungen und strukturelle Gewalt. Dieses Motiv zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Werk.
Ein Mädchen empfand es aufgrund ihrer Erziehung als selbstverständlich, verheiratet zu werden, sobald sich ein passender Bräutigam präsentierte. Weigerte sie sich, so brachte sie Schande über die gesamte Familie.
In einer klaren, eindringlichen Sprache schildert Fausia Kufi ihre Jugend in einem von tief verwurzelten patriarchalen Normen bestimmten Umfeld. Bildung ist für Mädchen kaum vorgesehen; dennoch gelingt es ihr, durch herausragende schulische Leistungen und den unermüdlichen Einsatz ihrer Mutter eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Später wird sie als erste Frau in ihrer Familie und eine der wenigen in ihrer Region ein Studium absolvieren.
Zwischen Freiheit und Burka
Fausia Kufis Schilderungen der politischen Umbrüche – von der sowjetischen Besatzung über den Bürgerkrieg bis zur Schreckensherrschaft der Taliban – bieten authentische Einblicke in die jüngere afghanische Geschichte aus der Perspektive einer betroffenen Frau. Besonders eindrucksvoll sind die Passagen, in denen sie von den Restriktionen unter den Taliban berichtet: Schulen für Mädchen werden geschlossen, Frauen dürfen nicht mehr öffentlich auftreten, das gesellschaftliche Leben wird durch Angst und Unterdrückung geprägt.
Doch nun waren Frauen, die noch wenige Monate zuvor stolz die neueste Mode getragen hatten und mit Büchern zur Universität gegangen waren, dem Urteil ungewaschener Männer ausgeliefert, die weder lesen noch schreiben konnten.
Nach dem Sturz der Taliban engagiert sich Fausia Kufi als Abgeordnete im afghanischen Parlament und setzt sich kompromisslos für die Rechte von Frauen und Mädchen ein. Ihre politische Arbeit bleibt nicht ohne persönliche Konsequenzen: Morddrohungen und Anschlagsversuche begleiten sie fortan. Dennoch bewahrt sie sich einen bemerkenswerten Optimismus, der im Buch immer wieder durchschimmert.
Stilistisch besticht „Nur eine Tochter“ durch seine authentische und persönliche Erzählweise. Fausia Kufi richtet sich in mehreren Kapiteln direkt an ihre beiden Töchter – eine literarische Entscheidung, die dem Werk besondere emotionale Tiefe verleiht. Diese Briefe sind Ausdruck einer Hoffnung auf eine freiere, gerechtere Zukunft, die viele afghanische Frauen teilen.
Einige der besten afghanischen Ärzte sind Frauen. Ich bin mir sicher, dass es Frauen überall auf der Welt lieber ist, in diesem so intimen Bereich von einer Vertreterin ihres eigenen Geschlechts behandelt zu werden. Lange wollte ich selber Ärztin werden und als Gynäkologin arbeiten. Dass die Taliban jedoch den Frauen das Arbeiten verboten, dünnte das medizinische Personal Afghanistans weiter aus. Doch der grausame Wahnsinn der Taliban ging noch weiter, denn sie verboten männlichen Ärzten auch, Frauen zu behandeln. Ein Arzt durfte einer Frau für ihre Erkältung nicht einmal Aspirin verordnen. Ärztinnen durften also nicht arbeiten, und Ärzte durften Frauen nicht behandeln. Das Ergebnis war, dass unzählige Frauen unter den Taliban starben, an der Grippe, an unbehandelten Infektionen, an Blutvergiftung, Fieber, einem Bruch oder weil sie schwanger waren. Sie starben völlig sinnlos, einfach nur, weil das Leben einer Frau in den Augen der brutalen Männer, die das Land führten, so wertlos war wie das einer Fliege.
Persönliche Eindrücke zu Fausia Kufis „Nur eine Tochter“
Für die meisten, die im Westen aufgewachsen sind, sind die Schilderungen von Fausia Kufi unfassbar. Eindrücklich schildert sie ihre Kindheit in den patriarchalen Machtstrukturen ihrer Heimat, in denen Mädchen nicht zur Schule gehen müssen: Sie werden sowieso nie arbeiten und etwas zum Familienunterhalt beitragen. Sie müssen eh nur heiraten. Schon der Beginn des Buches „Nur eine Tochter. Eine Frau verändert Afghanistan“ wirft den Leser/die Leserin in eine kaum vorstellbare Gesellschaftsform: Frauen werden geschlagen, Mädchen von ihren Vätern nicht direkt angesprochen. Obwohl das Buch von der bildhaften Sprache und dem Erzähltempo sehr gut zu lesen ist, schreien Wut, Entsetzen und Fassungslosigkeit nach einer Pause. Fausia Kufi erzählt ihre Geschichte, eingebettet in die politischen und kulturellen Verhältnisse ihrer Heimat. Dadurch hat man die Möglichkeit, viel über das Land am Hindukusch zu erfahren. Besonders eindringlich fand ich den Blick Fausias auf den Islam – nicht dieser ist verantwortlich für das Verhältnis der Männer bzw. der Taliban zu Frauen – dieses ist ihrer Meinung nach in vielen Bereichen kulturell bedingt bzw. auch aus dem arabischen Raum importiert. Fassungslos lässt einen das Bild zurück: Männer und Frauen koten lieber in die eigenen vier Wände als dass der Mann eine Latrine aushebt.
Fausia Kufi ist eine beeindruckende Frau, die von Anfang an ihren Weg geht, aber gleichzeitig merkt man, wie sie sich von einem jungen, lebensfrohen Mädchen zu einer mutigen und starken Frau entwickelt, die das Leben nicht einfach nur als gegeben wahr nimmt, sondern auch ihr Schicksal in die eigenen Hände nimmt.
Nur eine Tochter – Eine Frau verändert Afghanistan
- Autor*in: Fausi Kufi
- Jahr: 2011
- Sprache: Deutsch
- Seiten: 352
1. Buch aus der Lesereise: Read the World Challenge – Bookshelf Travel
Instagram: Bookshelf Travel – Fausia Kufi.
Krieg in Afghanistan und kein Ende in Sicht
Der Krieg in Afghanistan begann 1978 mit dem kommunistischen Staatsstreich der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) gegen Präsident Mohammed Daoud Khan. Die DVPA-Regierung stieß wegen radikaler Reformen und Unterdrückung auf massiven Widerstand. Im Dezember 1979 intervenierte die Sowjetunion militärisch, um die schwache Regierung zu stützen. Es folgte ein blutiger Zehnjähriger Guerillakrieg zwischen sowjetischen Truppen und islamistischen Mudschaheddin, die von den USA, Pakistan und anderen unterstützt wurden. Der Krieg kostete über eine Million Afghanen das Leben und führte 1989 zum Abzug der Sowjets.
Nach dem sowjetischen Rückzug stürzte die DVPA-Regierung 1992. Ein Bürgerkrieg brach zwischen verschiedenen Mudschaheddin-Fraktionen aus. 1996 übernahmen die radikalislamischen Taliban die Macht und errichteten ein autoritäres Regime, das Frauenrechte massiv einschränkte und Al-Qaida Unterschlupf bot.
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 griff eine US-geführte Koalition Afghanistan an, stürzte die Taliban und unterstützte die Gründung einer neuen Regierung. Es begann ein langer Aufstand der Taliban, die sich neu organisierten und zunehmend Gebiete zurückeroberten.
Trotz internationaler Truppenpräsenz und Milliardenhilfen blieben Fortschritte begrenzt. Korruption, schwache staatliche Strukturen und ethnische Spannungen behinderten den Aufbau. Zivile Opfer und Taliban-Angriffe nahmen zu. 2014 endete der Kampfeinsatz der NATO offiziell, doch tausende Soldaten blieben zur Ausbildung und Terrorbekämpfung.
Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban führten 2020 zum Doha-Abkommen, das den Abzug der US-Truppen vorsah. Die afghanische Regierung war nur begrenzt eingebunden. Nach dem US-Abzug im Sommer 2021 eroberten die Taliban binnen weniger Wochen fast das ganze Land. Am 15. August 2021 fiel Kabul; die Regierung floh, der Westen evakuierte in einer dramatischen Aktion Tausende Menschen.
Seither kontrollieren die Taliban erneut Afghanistan. Sie versprachen gemäßigtes Regieren, führen jedoch wieder ein autoritäres Regime. Frauenrechte und Pressefreiheit wurden stark eingeschränkt, Millionen leben in Armut. Die humanitäre Lage ist kritisch. Der Widerstand gegen die Taliban hält regional an. International ist das Taliban-Regime bislang nicht anerkannt.
Afghanistan bleibt geprägt von über vier Jahrzehnten Krieg, internationaler Einmischung und inneren Konflikten. Ein dauerhafter Frieden und Stabilität sind weiterhin ungewiss.
Zusammenfassung Krieg in Afghanistan
1978: Kommunistischer Staatsstreich (DVPA)
1979–1989: Sowjetische Invasion und Guerillakrieg
1989–1992: Bürgerkrieg nach sowjetischem Abzug
1996–2001: Taliban-Regime, Al-Qaida-Basis
2001: US-geführte Intervention nach 9/11, Sturz der Taliban
2001–2021: Aufstand der Taliban gegen afghanische Regierung und internationale Truppen
2020: Doha-Abkommen zwischen USA und Taliban
2021: US-Abzug, Taliban erobern Afghanistan, Machtübernahme in Kabul
seit 2021: Taliban-Regime, humanitäre Krise, internationale Isolation
Bilanz:
- 1 Mio.+ Tote seit 1979
- Über 6 Mio. Geflüchtete
- Massive Zerstörung von Infrastruktur und Gesellschaft
- Unklare Zukunft, fragile Sicherheitslage