Rezensionen – professionell oder „Just for Fun“

Laienkritiken als Konkurrenz zu professioneller Literaturkritik?

Durchforstet man das Internet nach Buchrezensionen, findet man die unterschiedlichsten Webangebote, sie reichen von Verkaufsplattformen, über Foren und Blogs bis hin zu Fanseiten für bestimmte Bücher oder Autoren. Hat man sich ein paar der Rezensionen durchgelesen, stellt man bald fest, dass sie entweder von lesebegeisterten Laien oder professionellen Literaturkritikern stammen, bzw. lässt sich oft gar nicht feststellen, zu wem sich der Rezensent zählen lässt. Sucht man im Netz nach Aufklärung, stößt man fast sofort auf einen erbitterten – aber einseitigen Krieg – der professionellen Literaturkritiker gegen Laienkritiker. Die Vorwürfe der professionellen Literaturkritiker sind unterschiedlichster Natur, und man hat bald das Gefühl, dass sie Angst haben, ihre Bedeutung und Macht am Literaturmarkt zu verlieren. Aber sind die Vorwürfe und die Angst wirklich begründet?

Zunächst fällt auf, dass eine unüberschaubare Anzahl von Laienkritikern einer mehr oder weniger kleinen Menge von professionellen Kritikern gegenübersteht. Letztere sind meist bei größeren Zeitungen fix für das Feuilleton zuständig, haben ein geisteswissenschaftliches Hochschulstudium abgeschlossen, kennen sich in der Literaturgeschichte und allen wichtigen Literaturen aus. Laienkritiker zeichnen sich hingegen dadurch aus, dass sie begeisterte Leser sind. Nimmt man jedoch das geisteswissenschaftliche Hochschulstudium als Maßstab für einen professionellen Literaturkritiker, dann stellt sich natürlich die Frage, wie man den bekanntesten aller Literaturkritiker – Marcel Reich-Ranzicki – hier einordnen soll. Er hat zwar viele Ehrendoktortitel, aber ein abgeschlossenes, geisteswissenschaftliches Hochschulstudium kann auch er nicht nachweisen, seine Karriere begann er ebenso als einfacher Laienkritiker mit einer Liebe zu Büchern. Da sich die Medienlandschaft stark verändert hat, kann heute jeder, der einen Internetzugang hat, zu einem Literaturkritiker werden. Mit Benutzernamen und Passwort lässt sich schnell und unkompliziert auf Verkaufsseiten wie Amazon eine Meinung zu einem Buchtitel veröffentlichen, auch das Erstellen eines Literaturblogs ist keine große Kunst. Dies führt unweigerlich zu einer unzählbaren Menge an Literaturkritiken, denen es meist an Qualität fehlt, und unweigerlich zu einem Aufschrei unter den professionellen Literaturkritikern zur Folge hat. Ein wichtiger Kritikpunkt, der diesen Qualitätsverlust aufzeigen soll, ist jegliches Fehlen von Argumentation und analytischer Auseinandersetzung, stattdessen werden irgendwelche Floskeln wie am Fließband produziert und zur Beschreibung eines Buches herangezogen. Was diese professionellen Literaturkritiker dabei vergessen: vielen Hobbylesern reicht die Information, dass ein Buch langweilig oder zu simpel ist oder das Lektorat schlecht war. Für ihn soll diese Laienkritik lediglich die Kaufentscheidung erleichtern. Die professionelle Literaturkritik hingegen versteckt sich hinter ausgefeilten Sätzen, Argumenten, neuen Perspektiven und fantastischen Interpretationsansätzen und überfordert damit den Hobbyleser bzw. geht sie an dessen Anforderungen vorbei. Oft fehlt es diesen professionellen Kritiken an Einfachheit und einer klaren Aussage über das Buch: „das Buch bringt nichts Neues“ ist für einen Hobbyleser oft aussagekräftiger als seitenlange Überlegungen und Argumentationen.

Der professionelle Literaturkritiker sieht in dieser Flut von Laienkritiken einen Kulturverfall und ein wertloses Geschreibsel, für den Hobbyleser bleibt jedoch die Tatsache, dass es sich dabei meist um hilfreiche Informationen zu einem Buch handelt.

Neben der unüberschaubaren Menge von Laienkritiken, finden sich auch einzelne Laienkritiker, die Unmengen von Bewertungen verfassen. Eine der RezensentInnen hat in 6 Jahren über 4.000 Verkaufsartikel bewertet, man fragt sich natürlich, ob sie jeden Artikel gelesen bzw. gesehen hat. Allerdings werden von professionellen Literaturkritikern gelegentlich auch Titel besprochen, die sie selbst nicht gelesen haben.

Auf der anderen Seite sind diese Laienkritiken sehr einseitig, da mehr oder weniger immer die gleichen Titel und Genres bewertet werden. Harry Potter und der Stein der Weisen hat zum Beispiel 819 Bewertungen bekommen, während Das Kindermädchen von Ivan Ivanji aus dem gleichen Jahr leer ausging. Jedoch rezensiert die professionelle Literaturkritik auch nur eine kleine Auswahl an Titeln.

Ein Problem der Laienkritik scheint die Anonymität der Kritiker zu sein. Hinter Pseudonymen stehen Hobbyleser genauso wie Autoren und Verlage, die auf diesem Weg ihre Werke besonders loben oder die von Konkurrenten verreißen. Wer aber an die große Unabhängigkeit der professionellen Literaturkritiker glaubt, der irrt, vor allem, wenn man sich die Verbindungen zw. Zeitschriften-, Zeitungs- und Buchverlagen anschaut. Wer glaubt da noch daran, dass niemals Weisungen von oben kommen? Es fällt auch auf, dass junge AutorInnen bei professionellen Literaturkritikern meist gut bewertet werden. Dies lässt sich damit vergleichen, dass im Web AutorInnen von sich selbst, von ihren Verlagen oder durch Freunde positive Kritik bekommen.

Wichtige Schlagwörter in diesem Zusammenhang sind „Selbstdarstellung“ und „Selbstinszenierung“. Wen wundert es, dass professionelle Literaturkritiker den Laienkritikern vorwerfen, aus diesen Gründen ihre Bewertungen im Internet zu veröffentlichen, um dann mit einem Kommentar oder einem „diese Rezension war hilfreich“ bedankt zu werden.

Aber sind wir ehrlich, wer will nicht gerne seinen Namen veröffentlicht sehen? Genau das trifft auch auf professionelle Literaturkritiker zu, die zwar sowieso veröffentlicht werden, aber oft noch zusätzlich nach Möglichkeiten suchen, um sich selbst in Szene zu setzen. Ein Beispiel dafür ist die Weigerung Reich-Ranickis, vor laufender Kamera den Deutschen Fernsehpreis anzunehmen. Damit nicht genug, nutzte auch Elke Heidenreich die Gelegenheit, sich mit scharfen Worten seiner Meinung anzuschließen, und gegen ihren eigenen Brötchengeber zu wettern. Fortgesetzt wurde diese Selbstinszenierung der beiden durch einen Streit, den sie in aller Öffentlichkeit wegen verletzter Eitelkeiten austrugen.

Schon als der Buchmarkt durch die Erfindung des Buchdrucks langsam begann, sich zu entwickeln, standen sich professionelle Literaturkritik in Form von Bücheranzeigen und Laienkritiker, die den Austausch über die gelesenen Texte suchten, in Form von Lesegesellschaften gegenüber. Seit damals haben beide Bereiche ihre Berechtigung, da sie unterschiedliche Bedürfnisse des Lesers abdecken. So kann die Laienkritik als Austausch und Kaufberatung gesehen werden, während die professionelle Literaturkritik als eigenes Genre, und die professionellen Kritiker als Literaten gesehen werden können. Mit mehr Objektivität und weniger Verbissenheit professioneller Literaturkritiker wäre dieser Streit leicht beizulegen, und beide Arten der Literaturkritik könnten parallel zu einander existieren.

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