Chucks – Cornelia Travnicek

Willkommen im Leben!

Chucks – das sind einfache Leinenturnschuhe und für Mae das Wichtigste auf ihrem Weg. Sie sind Begleiter durch eine schwierige Zeit. An ihnen hängen die Erinnerungen an ihren an Leukämie verstorbenen Bruder. Dieser frühe Tod des Bruders führt dazu, dass die Familie zerbricht, Mae hin und her geschoben wird, sie die Schule abbricht und es vorzieht auf der Straße zu leben. Dort lernt sie auch Tamara kennen, eine Punkerin, bei der sie ein Gefühl der Fürsorge und Zuneigung erfährt. Als sie Jakob kennenlernt, zieht sie bei ihm ein, er bietet Normalität und Stabilität. Mae ist zerrissen, kann aber nicht mit den Luftschlössern von Jakob umgehen, gleichzeitig ist ihr das Leben mit Tamara auf der Straße zu wenig. Diese Zerrissenheit spiegelt sich auch im Aufbau des Buches wider. Die Handlung ist immer wieder durchbrochen durch Schilderungen des Vergangenen, springt zwischen aktuellem Geschehen und verschiedenen Erlebnissen aus der Vergangenheit hin und her. So erfährt der Leser in einzelnen nicht chronologischen Brocken die ganze Geschichte, vom Sterben des Bruders, aber auch wie es dazu kommt, dass Mae bei Jakob einzieht, der so gar nicht zu ihr passen mag, und warum sie ihn wieder verlässt, um bei dem HIV-positiven Paul einzuziehen.

Mit diesem Roman hat Travnicek einerseits ein aktuelles Thema aufgegriffen, wenn man den Zahlen über auf den Straßen der großen Städte Mitteleuropas lebenden Jugendlichen glaubt, die so ihrem perspektivenlosen Elternhaus zu entfliehen hoffen. Auf der anderen Seite bedient sie auch ein alt bekanntes und immer wieder aufgewärmtes Klischee: Traumata in der Kindheit, die unweigerlich zu Drogen, Alkohol und Gewalt führen, ein Thema, das spätestens seit „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ bekannt ist, oftmals aufgegriffen, verändert und neu zusammengesetzt wurde. Auch Mae steht kurz davor, sich in diesem Wirbel aus Drogen und Gewalt zu verlieren, doch dann lernt sie Paul kennen und es wächst eine zarte Liebe immer mit Blick auf dessen Tod, der sich unausweichlich nähert.

Mae erzählt die Geschichte aus ihrer Sicht, aber dennoch schafft es die Autorin nicht, ihrer Protagonistin eine tiefe Gefühlswelt mitzugeben. Mae wirkt lethargisch und passiv, und erst als sie ausrastet und wie wild auf jemanden einschlägt, merkt man, dass mehr in ihr steckt. Im Zentrum stehen Maes Beziehungen zum Bruder, zum Vater, zur Mutter, zu Tamara, zu Jakob und zu Paul, nie steht sie selbst im Vordergrund. Die Geschichte bleibt oberflächlich, es fehlt an Höhen genauso wie an den Tiefen, der Roman plätschert dahin, nichts, was wirklich überrascht, den Leser ins Stocken oder Staunen geraten lässt. Das Sterben des Bruders vollzieht sich genauso oberflächlich wie das Sterben Pauls. Dass der langsame Tod eines Verwandten berührend und verstörend beschrieben werden kann, weiß man spätestens seit Kluuns „Mitten ins Gesicht“. Dieses Gefühl durch den Verlust in ein tiefes Loch zu fallen oder nicht mehr weiter zu wissen, fehlt bei Travnicek gänzlich.

Auch das Abgleiten Maes geschieht hier in diesem Roman nur an der Oberfläche. Dass Jugendliche tiefer fallen können, weiß man spätestens wenn man „Fragt mal Alice“ gelesen hat. Auch Liebesgeschichten sind nichts Neues, tausende Texte lassen sich dazu finden, doch – und das ist Travnicek gut gelungen – das Verhältnis zwischen Paul und Mae berührt, die beiden nähern sich langsam an, versuchen die letzten Tage gemeinsam zu verbringen, verzagen nicht vor dem nahenden Tod.

Chucks ist das viel gelobte Romandebüt von Cornelia Travnicek, einer 25jährigen Autorin aus Österreich. Der Roman ist im März 2012 beim Deutschen DVA Verlag erschienen.
Sie selbst sagt über den Roman, dass er „biographische Splitter“ enthält, die sie aber stark verändert und neu zusammengesetzt hat. Travnicek hat mit 13 angefangen zu schreiben und einige ihrer Texte schon in Kleinverlagen veröffentlicht. Aber nicht nur in gedruckter Form findet man Texte von ihr, sie selbst nützt auch das Internet für ihre Medienpräsenz, sie bloggt, sie twittert, ist auf Facebook und hat ihre eigene Homepage. Über ihr Leben als Schriftstellerin schreibt sie seit 2007 auf www.literaturcafe.de. Chucks wurde bei der Veranstaltung Books at Berlinale mit 12 weiteren Titeln eingereicht, es besteht daher die Möglichkeit, dass dieses Werk verfilmt wird.
Aber nur mit der Veröffentlichung von Chucks ist es noch nicht erledigt, die junge Autorin, Cornelia Travnicek ist unter den 14 Nominierten für den Bachmann-Preis, der am 8. Juli vergeben wurde.

Travnicek ChucksCornelia Travnicek – Chucks

192 Seiten
Deutsche Verlags-Anstalt, 2012

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